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Lerchenherzen

Lerchenherzen

Titel: Lerchenherzen
Autoren: Margaret Skjelbred
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1
    In einer alten Truhe habe ich das gepreßte Blütenblatt einer Pfingstrose gefunden, sorgfältig zwischen Leinen verwahrt. Man spürt die Vergänglichkeit, denn die zarten, beinahe durchsichtigen Blütenblätter lösen sich fast in nichts auf, wenn ich sie herausnehme, um sie dir zu zeigen. Du blickst auf sie, fast ein wenig geistesabwesend, und mit dieser milden Neugier, mit der man gern auf Gegenstände blickt, die einem nichts sagen. Dein Blick wandert schon bald weiter zu anderen Dingen.
    Für mich ist es merkwürdig zu erleben, wie du, der mir so nahesteht, so ganz und gar unberührt sein kannst von etwas, das mich so stark berührt. Aber du weißt ja nichts von dem, was war oder was kommen wird, und so kümmert es dich auch nicht. Du läßt einfach deinen Blick weiterwandern, gleichgültig, zufrieden.
    Noch sagt dir dieses spinnwebzarte, altrosa Blatt nichts, du verbindest damit ebensowenig wie mit all den anderen Sachen hier in diesem Raum. Auch nicht mit der Frau, die hier wohnte, denn du kennst sie nicht. Aber in diesen Tagen und Nächten ist es für mich wichtig geworden, dir von ihr zu erzählen und von den anderen Menschen, die mir nahegestanden haben. Nur indem ich dir von ihnen erzähle, kannst du mich kennenlernen.
    Wenn ich den Blick hebe, sehe ich die Schwalben, wie sie in raschen Schwüngen über Jakobs Wiese schießen. Jetzt am Abend fliegen sie so niedrig, daß ihre Flügel fast das tränennasse Stroh berühren und die glänzenden Tropfen sprühen lassen.
    Ich habe diese Abendstunden immer geliebt. Die Schwalben kündigen mit ihrem verspielten Flug an, ob es morgen Regen oder Sonnenschein geben wird, und die Landschaft verliert sich langsam in der blauen Dämmerung. In diesen Abendstunden bin ich immer so froh gewesen. Es ist eine gute Zeit für Vertraulichkeit.
    Ich will, daß du jetzt zuhörst. Ich werde dir alles erzählen – das, was ich weiß, und das, von dem ich glaube, es zu wissen, das, was mir erzählt worden ist, und das, was ich mir dazugereimt habe. Du bist ein guter Zuhörer, sei gesegnet dafür, mein Lieber. Einen guten Zuhörer, den brauche ich jetzt am allermeisten.

2
    Anders Larsen Ås war nicht irgendeiner. Das konnten alle sehen, als er mit Maren Pütt in den Armen feierlich und mit sehr geradem Rücken über die Tanzdiele in Vonheim walzte.
    Was das anbelangt, auch Maren Pütt war nicht irgendeine. Die Leute pflegten über die jüngste Tochter Karl Pedersens auf Øgård zu sagen, sie sei schlank wie eine Weide, schön wie eine Rose und scheu wie eine Glockenblume. Er hatte den Spitznamen Pütt seit seiner Jugend, weil er schon immer so schrecklich gut darin war, Kautabak auszuspucken.
    »Pütt«, sagt Karl und schickt einen braunen Strahl Kautabak quer durch den Raum in das Spuckbecken bei der Tür, ehe er sich den Bart mit dem Handrücken abwischt. »Pütt!«
    Seine vier Töchter haben seinen Spitznamen geerbt, auch wenn sie weder priemen noch spucken, und sie sind, als sie heranwachsen, eine schöner und adretter als die andere. Und von allen die schönste ist Maren.
    Maren mit den dicken Zöpfen, die einige Male um den Kopf gewunden sind, und mit den grauen, ein bißchen traurigen Augen unter ernsten Brauen. Maren mit dem schüchtern gebeugten Nacken und mit einer Taille, die war so schlank, daß dieMänner gern ihre derben Fäuste darum gelegt hätten, um zu messen, ob sie wirklich so dünn ist. Maren mit den schmalen Hüften, die sie binnen eines Jahres das Leben kosten werden.
    Aber warte, so weit sind wir noch nicht. Genau jetzt tanzt die zerbrechliche, achtzehnjährige Maren mit Anders Larsen, der also nicht irgendeiner ist, sondern Hoferbe von Ås – dem einzigen Hof der Gemeinde mit einer Glocke, die zu den Mahlzeiten ruft.
    Und genau da wird die Tür zu dem Lokal der jungen Leute mit solchem Spektakel geöffnet, daß Herman Myra, der die Ziehharmonika spielt, daß die Schweißtropfen fliegen, fast aus dem Takt kommt, aber dann schnell weiterspielt, denn hier kommen Kerle von außerhalb, und das führt selten zu etwas anderem als zu Unannehmlichkeiten.
    Als erster kommt Ansgar, der schon seit einem Jahr ein Auge auf Maren Pütt geworfen hat, seit sie nämlich zum Konfirmandenunterricht ging und immer durch die Nachbargemeinde mußte, um einmal in der Woche zusammen mit den anderen Konfirmanden beim Pastor vorbereitet zu werden.
    Nun, mit der gehörigen Anzahl von Schnäpsen intus, scheint es dem Ansgar, die Zeit sei reif, sein sonnenklares Recht einzufordern,
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