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Paloma

Paloma

Titel: Paloma
Autoren: Alexandra Dannenmann
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Erster Teil
     
    PALOMA
    1974
     
    Der Tramontana blies schon seit Stunden und trocknete die Erde, bis allmählich das satte Braun der Felder nach dem kurzen Regenschauer am Morgen wieder verblasst war.
    Zungenschnalzend trieb Paloma ihre Ziegen und Schafe an, wenn sie an den spärlichen Kräuterbüscheln knabberten, die da und dort zwischen den Steinen hervorwuchsen. Sie hatte es eilig, nach Hause zu kommen, denn hinter dem Pinienwäldchen im Osten stiegen erste Nebelschwaden auf und die feuchte Abendluft kroch unter ihr dünnes Kleid und das Tuch, das sie über den Schultern trug.
      Als sie die kleine, kahle Anhöhe mit ihren vom Wind eben geschliffenen Felsen hinaufstieg, sah sie aus südlicher Richtung einen Mann auf sich zukommen.
    Ein Fremder, soviel war auf den ersten Blick zu erkennen. Seine Beine waren lang und dünn. Länger und dünner als bei den Leuten hier auf Magali. Paloma veränderte ihre Richtung ein wenig, ließ den Fremden jedoch nicht aus den Augen.
    Ein Barbudo. Das sah sie jetzt deutlich.
    Da auch der Fremde seine Richtung änderte, kam er allmählich näher, und so konnte sie sehen, dass sein Bart von derselben Farbe war wie der Sand am Wasser, wenn die Sonne darauf schien. Paloma trieb die beiden Ziegen an, indem sie ihnen mit der flachen Hand auf den Rücken klatschte.
    „Hola!“, rief der Mann ihr zu.
    Verwirrt über den Zuruf in ihrer eigenen Sprache aus dem Mund eines Fremden, ging Paloma schneller.
    Aber der Fremde holte sie ein und ging jetzt neben ihr her. Er war noch jung, das sah sie deutlich, und er sagte etwas zu ihr, was sie aber nicht verstand, obwohl es ähnlich klang wie die Sprache von El Profesor, dem Lehrer, der den Inseldialekt nicht sprach. Sie hatte Lesen und Schreiben bei ihm gelernt, allerdings nur einige Jahre in den Wintermonaten. Ihrer Kusine Alicia, mit der sie zusammen zur Schule ging, war der Weg zu weit gewesen und allein hatte die Mutter sie nicht gehen lassen.
    Der Fremde ging immer weiter neben ihr her. Ab und zu nickte Paloma mit dem Kopf, immer dann, wenn sie glaubte, ihn verstanden zu haben. Hauptsächlich war sie jedoch damit beschäftigt ihn anzusehen. Er trug merkwürdige Schuhe mit hohen Schäften, in welche Linien und Kreise eingeritzt waren und die dazu noch aus Leder waren. Nicht wie ihre eigenen leichten Stoffschuhe mit geflochtenen Sohlen aus Hanf. Ihr Blick ging höher zu seinem Pullover aus Schafswolle. Auch daran erkannte sie, dass er nicht von der Insel war. Die Wolle ihrer Schafe ging hinüber zum Festland, denn Schafswolle gehörte zu dem Wenigen, das ein bisschen Bargeld brachte, was sie so dringend brauchten. Für den Médico zum Beispiel und die Medikamente, die der Vater wegen seiner Schmerzen im Magen immer wieder brauchte.
    Wo sie wohne, wollte der Fremde wissen. Wenigstens glaubte Paloma das verstanden zu haben und so deutete sie in westlicher Richtung. Dabei fiel ihr Blick auf den eigenartigen Halsschmuck, den der Fremde trug. Aus Silber war er nicht, Silber kannte sie. Ihre Mutter besaß einen Ring aus Silber mit einer so winzigen Mutter Gottes mit ihrem Kind, dass sie kaum zu erkennen war. Nein, aus Silber war der Schmuck des Fremden bestimmt nicht. Genau genommen war er nichts weiter als eine dünne Lederschnur mit einem kleinen durchbohrten Stein daran, einem Stein, wie man sie zu Tausenden auf den Feldern fand. Steine, deren Oberfläche von Wind und Wetter glatt poliert waren.
    Der Fremde hatte ihren Blick bemerkt. Er lachte. Mit Zähnen so weiß wie die Salzhügel in den Salinen. Und plötzlich tat er etwas ganz und gar Unerwartetes. Er nahm das Lederband ab und legte es ihr um den Hals.
    „Nein“, sagte sie mit vor Aufregung heiserer Stimme.
    Aber der Fremde hielt ihre Finger fest, die das Halsband abstreifen wollten und so gab sie nach. Entwand ihm ihre Hand und berührte vorsichtig den kleinen Stein, der jetzt auf ihrer Brust lag.
    Umwabert von Nebelfetzen tauchten in der Ferne die kahlen Äste der Feigenbäume auf, hinter denen das Haus ihres Vaters lag. Und kurze Zeit später war es auch bereits zu erkennen. Für Paloma ein eher beunruhigender Anblick, denn soweit sie sich erinnerte, war noch niemals einer der Fremden, die neuerdings auf die Insel kamen, die meisten in bunter Kleidung und langhaarig, Männer wie Frauen, in die Nähe ihres Hauses gekommen. So als ob der Fremde ihre Gedanken erriet, blieb er plötzlich stehen.
    „Na, ich muss jetzt wohl weiter, aber ich denke, wir sehen uns wieder.“
    Das hatte Paloma
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