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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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wie Sascha und Leonid.
    Da geschah etwas.
    Erst zögernd, dann immer selbstbewusster und lauter stieg der Gesang einer Flöte auf. Nichts erschien in diesem Augenblick unpassender, ja dümmer zu sein als dies. Die Verteidiger starrten den Flötisten verblüfft an, die Menge dagegen knurrte erst überrascht, dann rückte sie höhnisch lachend weiter vorwärts.
    Doch Leonid kümmerte sich nicht darum. Wahrscheinlich spielte er gar nicht für sie, sondern für sich selbst. Dieselbe wundersame Melodie, die Sascha so verzaubert und immer Dutzende von Zuhörern angelockt hatte.
    Es war sicher die denkbar ungeeignetste Methode, dem Aufstand Einhalt zu gebieten und die Infizierten zu besänftigen. Aber vielleicht war es gerade die rührende Naivität dieses verzweifelten Schritts - und nicht etwa die Zauberkraft der Flöte -, die den Ansturm der Menge schließlich verlangsamte. Oder war es dem Musikanten doch gelungen, jene, die ihn umzingelten, die bereit waren, alles zu zermalmen, an etwas zu erinnern. Etwas, das.
    Die Schüsse verstummten, und Leonid trat nach vorne, ohne die Flöte abzusetzen. Er verhielt sich, als stünde er vor einem ganz gewöhnlichen Publikum, das ihm im nächsten Augenblick applaudieren und Patronen zuwerfen würde. Und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Sascha unter den Zuhörern ihren Vater zu erkennen, wie er sanft lächelte. Hier also hatte er auf sie gewartet . Sie dachte daran, was Leonid gesagt hatte: Diese Melodie war in der Lage, Schmerzen zu lindern. Hinter dem hermetischen Tor begann es plötzlich zu rumoren. Eigentlich zu früh. Waren die Aufklärer etwa schneller durchgekommen als geplant? Dann war die Situation an der Tulskaja also gar nicht so kompliziert? Ja, vielleicht hatten die Besetzer die Station längst verlassen, ohne das Tor zu öffnen?
    Die Truppe schwärmte aus, und die Soldaten verschanzten sich hinter den Vorsprüngen der Tunnelsegmente. Nur vier Mann blieben neben Denis Michailowitsch stehen, direkt vor dem Tor, die Gewehre im Anschlag.
    Das war es also. Gleich würde das Tor zur Seite fahren, und nur wenige Minuten später würden vierzig schwerbewaffnete Sewastopoler in die Tulskaja eindringen, jeglichen Widerstand niederschlagen und die Station im Handumdrehen besetzen. Es war alles viel einfacher, als der Oberst befürchtet hatte.
    Denis Michailowitsch holte Luft, um seinen Leuten zu befehlen, die Gasmasken aufzusetzen. Weiter kam er nicht.
    Die Kolonne formierte sich neu, floss auseinander, so dass nun sechs Mann in einer Reihe standen und die gesamte Breite des Tunnels ausfüllten. Die vorderste Riege hielt die Flammenwerfer vor sich, die zweite hatte ihre Schnellfeuergewehre gezückt. Wie schwarze Lava krochen sie voran, bedächtig und zugleich unaufhaltsam.
    Homer lugte hinter den breiten Rücken der Männer hervor. In den weißen Strahlen ihrer Scheinwerfer konnte er die gesamte Szenerie überblicken: das Häuflein Soldaten, das noch immer die Stellung hielt, zwei schmale Gestalten -Sascha und Leonid -sowie eine Horde furchterregender Kreaturen, die sie bedrängte. Er erstarrte vor Entsetzen.
    Leonid spielte noch immer. Herrlich. Unglaublich. Beflügelt wie noch nie. Die grässliche Horde sog die Musik gierig in sich auf, und auch die Verteidiger des Tunnels hatten sich erhoben, um ihn besser zu sehen. Seine Melodie trennte die feindlichen Parteien wie eine durchsichtige Wand voneinander; nur sie hinderte sie daran, sich aufeinander zu stürzen zum letzten, tödlichen Kampf.
    »Bereit!« Den Befehl hatte einer aus der schwarzen Gruppe gegeben. Bloß welcher? Die erste Riege ging sogleich in die Knie, die zweite legte an. »Sascha!«, schrie Homer. Das Mädchen wandte sich um, kniff die Augen zusammen, streckte eine Hand vor sich und kämpfte sich langsam durch die ihr entgegenschlagende Lichtflut.
    Die Menge knurrte und stöhnte unter den sengenden Strahlen. Sie rückten näher zusammen. Die Kämpfer verharrten reglos. Sascha stand nun unmittelbar vor der schwarzen Formation. »Wo bist du?«, rief sie. »Ich muss mit dir sprechen. Bitte!« Niemand antwortete. »Wir haben ein Gegenmittel gefunden!Die Krankheit lässt sich heilen!Du musst niemanden töten!« Die düstere Phalanx schwieg noch immer. »Ich bitte dich!Ich weiß, du willst das nicht. Du versuchst nur, sie zu retten und dich selbst .«
    Plötzlich ertönte aus den Reihen der Kämpfer, ohne dass man sie jemand Einzelnem hätte zuordnen können, eine dumpfe Stimme: »Geh fort. Ich will dich nicht
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