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Cupido #1

Cupido #1

Titel: Cupido #1
Autoren: Jilliane Hoffman
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1.
     
     
    Juni 1988, New York City
     
    Wie immer war Chloe Larson in fürchterlicher Hetze. Sie hatte nur noch zehn Minuten, um sich für Das Phantom der Oper umzuziehen und zu schminken – derzeit der Renner am Broadway und ein Jahr im Voraus ausverkauft –, und der Zug von Bayside in die Stadt fuhr um 18:52 Uhr. Drei Minuten brauchte Chloe allein mit dem Auto von ihrer Wohnung zur Bahnstation. Sie hatte also eigentlich nur noch sieben Minuten. Sie wühlte sich durch den vollgestopften Kleiderschrank, den sie schon letzten Winter hatte ausmisten wollen, und entschied sich schnell für einen schwarzen Seidenrock mit passendem Jackett und ein pinkfarbenes Top. Mit dem einen Schuh in der Hand fischte sie, Michaels Namen vor sich hin murmelnd, aus einem großen Haufen auf dem Boden hektisch einen Schuh nach dem anderen heraus, bis sie ihn endlich gefunden hatte: den dazugehörigen zweiten Lackpump.
    Sie hastete ins Bad, schlüpfte unterwegs in die Schuhe. So hatte es eigentlich nicht sein sollen, dachte sie, während sie sich mit einer Hand die blonde Mähne über den Kopf bürstete und mit der anderen die Zähne putzte. Sie hätte entspannt und sorglos sein sollen, aufgeregt und voll Vorfreude, sie hätte den Kopf frei haben sollen von allen Ablenkungen, wenn er die Frage aller Fragen endlich stellte. Kein übernächtigtes Hin und Her, kein Gehetze vom Intensivkurs zur AG mit ihren nervösen Kommilitonen, kein bevorstehendes Anwaltsexamen, das alles andere überschattete. Sie spuckte die Zahnpasta aus, besprühte sich mit Chanel No. 5, rannte zur Tür. Nur noch vier Minuten, die nächste Bahn käme erst um 19:22 Uhr, und dann verpassten sie wahrscheinlich den ersten Akt. Vor ihrem geistigen Auge tauchte das Bild eines genervten Michael auf, der vor dem Majestic Theater auf sie wartete, eine Rose in der Hand, ein Schächtelchen in der Tasche, und dabei ständig auf die Uhr sah.
    So hatte es eigentlich nicht sein sollen. Sie hätte vorbereitet sein sollen.
    Sie lief durch den Innenhof zu ihrem Wagen. Fahrig steckte sie sich auf dem Weg die Ohrringe an, die sie sich eben noch vom Nachttisch geschnappt hatte, und spürte dabei im Rücken den Blick ihres sonderlichen Nachbarn aus dem ersten Stock, der wie jeden Tag oben an seinem Wohnzimmerfenster stand. Er beobachtete sie, als sie den Innenhof überquerte, hinaus in die Welt, in ihr Leben. Doch so schnell, wie es gekommen war, schüttelte Chloe das kalte, unangenehme Gefühl wieder ab und stieg ins Auto. Das war der falsche Moment, über Marvin nachzudenken. Oder ans Examen oder ans Repeti torium oder an die AG. Nein – im Moment wollte sie nur über ihre Antwort auf die Frage aller Fragen nachdenken, die Michael ihr heute Abend mit Sicherheit stellen würde.
    Drei Minuten. Sie hatte nur noch drei Minuten, dachte sie, als sie das Stoppschild an der Ecke ignorierte und am Northern Boulevard bei Dunkelgelb über die Ampel fuhr.
    Das ohrenbetäubende Schrillen der Trillerpfeife drang ihr in die Ohren, als sie mit Riesenschritten die Treppe zum Bahnsteig hinaufrannte. Die Türen schlossen sich genau in dem Augenblick, als sie dem Zugführer, der gewartet hatte, dankbar zuwinkte und in den Waggon sprang. Sie lehnte sich in den roten Plastiksitz zurück und versuchte, nach diesem Spurt wieder zu Atem zu kommen. Die Bahn fuhr an, Richtung Manhattan. Beinahe hätte sie den Zug verpasst.
    Ganz ruhig, entspann dich, Chloe, ermahnte sie sich, während Queens in der Dämmerung am Fenster vorüberglitt. Denn heute war ein ganz besonderer Abend: Das hatte sie im Gefühl.

 
     
2.
     
    Der Wind hatte aufgefrischt, und die dichten immergrünen Büsche, die seinen reglosen Körper verbargen, raschelten und schwankten. Ein Blitz zerriss den Himmel im Westen: Weiße und violette Zickzackstreifen flammten hinter der glitzernden Skyline von Manhattan auf. Jetzt würde es auch noch anfangen zu schütten, und zwar bald. Er kauerte sich ins Unterholz und knirschte mit den Zähnen, während sein Nacken sich beim Grollen des Donners versteifte. Das hatte gerade noch gefehlt! Ein Wolkenbruch, während er hier draußen hockte und wartete, dass die Schlampe endlich heimkam.
    In seinem Versteck im Dickicht der Büsche, die das Apartmenthaus umgaben, regte sich kein Hauch; die Hitze unter der dicken Clownmaske war so unerträglich, dass er das Gefühl hatte, ihm würde das Gesicht zerfließen. Hier unten war der Geruch von modernden Blättern und feuchter Erde stärker als das Immergrün, und
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