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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie
Autoren: Isabelle Neulinger
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Kinder bekommen habe. Anscheinend ist er zu Rabbi Asarias rechter Hand geworden und ist immer und überall auf seinen Inlineskates und mit Fähnchen unterwegs. Er spricht sogar Leute in Restaurants und Cafés an und versucht, sie zum Unterricht des Rabbis zu überreden.

    Frühling 2007. Acht Monate, nachdem das kantonale Gericht sich des Falls angenommen hat, folgt das Urteil. Ein weiteres Mal gibt mir die Schweizer Justiz recht. In dem fast vierzig Seiten umfassenden Urteilsspruch befindet das Gericht, dass in der Streitsache das Wohl des Kindes im Vordergrund zu stehen habe. Wieder beruft es sich auf Artikel 13, Absatz 1b des Haager Übereinkommens und hält fest, dass eine Rückführung Noams nach Israel eine große Gefahr für ihn darstelle. Darüber hinaus wird bemängelt, dass sich die israelische Zentralbehörde zu den ihr gestellten Fragen unzulänglich geäußert habe, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass das Wohl des Kindes gewährleistet werden könne.
    Ein weiterer wichtiger Sieg, ein Erfolg, auf den mein Anwalt und ich mit Champagner anstoßen.
    Doch wir haben die Rechnung ohne Shai und seine hartnäckige Anwältin gemacht. Denn diese geht erneut in Berufung, diesmal vor dem Bundesgericht, und macht dafür eine falsche Auslegung von Artikel 13, Absatz 1b des Haager Übereinkommens geltend. Schon wieder dieser Artikel!

Der Rückschlag
    Das Bundesgericht mit Sitz in Lausanne ist der oberste Gerichtshof der Eidgenossenschaft und somit verantwortlich für die höchste Rechtsprechung in der Schweiz. Zum dritten Mal verfasst Monsieur Favre eine Verteidigungsschrift. Eine weitere Hürde, ein weiteres Mal auf das Wohlwollen der Richter hoffen, wieder diese Ungewissheit. Und immer wieder warten. Monsieur Favre bleibt jedoch zuversichtlich, schließlich ist uns schon zweimal recht gegeben worden, mit schlüssig begründeten Urteilen. Warum sollte es vor dem Bundesgericht anders laufen?
    Noam ist vier Jahre alt. Neben Französisch lernt er mit Octavio Spanisch und mit Paulo Portugiesisch, und im jüdischen Hort, den er einmal wöchentlich besucht, schnappt er auch ein paar hebräische Wörter auf. Er ist ein fröhliches und ausgeglichenes Kind.
    Im Sommer 2007 wird bei mir ein medizinischer Eingriff vorgenommen, für den ein Krankenhausaufenthalt erforderlich ist. Kurz nach meiner Entlassung teilt mir mein Anwalt mit, dass der Urteilsspruch in der darauffolgenden Woche verkündet werde, also während der Ferienzeit Mitte August.
    Für Monsieur Favre handelt es sich um eine reine Formsache, ich müsse nicht extra im Gericht erscheinen und solle mich lieber auskurieren. Er möchte mich vertreten und mir das Ergebnis mitteilen. Doch ich habe keine Ruhe. Irgendetwas sagt mir, dass ich bei der Verhandlung besser dabei sein sollte, und so entschließe ich mich, meinen Anwalt trotz allem zu begleiten.

    Eine Verhandlung im Bundesgericht findet dann statt, wenn dies von einem Richter ausdrücklich erwünscht wird oder wenn keine Einstimmigkeit unter den Richtern herrscht. Es wird öffentlich debattiert und abgestimmt, ohne dass die Anwälte Plädoyers halten oder das Wort ergreifen dürfen. Die anwesenden Besucher verfolgen den Schlagabtausch der Bundesrichter also, ohne intervenieren zu können. Jeder Richter spricht in seiner eigenen Sprache, die eine der vier offiziellen Sprachen der Schweiz ist – Deutsch, Französisch, Italienisch oder Rätoromanisch.
    Am Tag der Verhandlung geht ein heftiges Gewitter über Lausanne nieder, und wir kommen völlig durchnässt beim Gericht an, einem imposanten neoklassizistischen Bauwerk. Die breiten Treppen, das gewaltige Säulenportal, die ganze feierliche Atmosphäre verstärken meine innere Unruhe.
    Zu meinem Erstaunen ist der Gerichtssaal voll, auch viele Journalisten haben sich eingefunden. Wer hat sie wohl eingeladen? Ich habe keine Zeit, Monsieur Favre danach zu fragen. Die Verhandlung beginnt.
    Die berichterstattende Richterin führt auf Französisch in den Fall ein und ruft die Sachlage in Erinnerung.
    Es fängt vielversprechend an, mir scheint, dass sie auf meiner Seite steht. Und in der Tat schließt sie sich den beiden vorausgehenden Gerichtsentscheiden an. Sie schlussfolgert, dass es für Noam nicht zumutbar sei, nach Israel zurückgebracht zu werden. Sein psychisches Gleichgewicht würde darunter erheblich leiden. Und sie zieht
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