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TS 21: Die Überlebenden

TS 21: Die Überlebenden

Titel: TS 21: Die Überlebenden
Autoren: J. T. McIntosh
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1. Kapitel
     
    Als ich zurückkehrte, war Gloria tot.
    Später erst war ich in der Lage, mir ein vollständiges Bild von dem zu machen, was geschehen sein mußte, während ich fortgegangen war, Lebensmittel zu besorgen. Genau weiß ich heute noch nicht, warum ich mir die Geschehnisse überhaupt in allen Einzelheiten ausmalte, denn sie waren alles andere als erfreulich.
    Gloria war meine Frau gewesen, und das mag einer der Gründe sein, warum ich so daran interessiert bin, alle Einzelheiten ihres Todes zu erfahren und im Gedächtnis zu behalten.
    Sie hat mir immer sehr viel bedeutet, bis zum bitteren Ende. Aber ganz früher, bevor die Paggets auftauchten, hatte sie mir noch viel mehr bedeutet. Damals gab es nichts Wichtigeres für mich als die Art, wie sie den Kopf trug, ihre Haare kämmte oder mich ansah.
    Aber wie gesagt: das war vor der Zeit der Paggets.
    Hier und da mögen sich Fehler in mein zusammengestückeltes Bild eingeschlichen haben, aber im großen und ganzen wird es schon so gewesen sein, wie ich es schildern will. Nicht wissenschaftlich kalt und unpersönlich, sondern mit der Stimme meines Herzens – und meiner Vernunft natürlich auch.
    Es ist meine letzte, unromantische und grausame Erinnerung an Gloria, meine Frau.
     
    *
     
    In wildem Schrecken raste sie die Treppe hoch, schrille Schreie ausstoßend. Ein früherer Bewohner des alten Bauernhauses hatte vorsorglich eine schwere, eiserne Tür am Ende des Korridors anbringen lassen; sie führte in die Schlafzimmer. Gloria eilte durch den massiven Rahmen und schlug die Metalltür hinter sich zu. Aufatmend lehnte sie sich dagegen und versuchte, den heftigen Schlag ihres Herzens zu beruhigen.
    „Donny!“ flüsterte sie erschöpft. „Donny – bitte! Komm’!“
    Plötzlich hielt sie den Atem an, denn sie hatte ein Geräusch vernommen. Zitternd stand sie an der Tür und preßte das Ohr gegen das kalte Eisen.
    Sie hörte ein Schnauben, dann ein eifriges Schnüffeln – und endlich bellte ein Hund. Dann war wieder Schweigen.
    Gloria gefror das Blut in den Adern. Obwohl sie wußte, daß die Tür fest geschlossen und durch einen Metallbolzen verriegelt war, lehnte sie sich mit ihrem schmalen Rücken dagegen, um die Festigkeit noch zu erhöhen.
    Jeder, der sie jetzt in diesem Augenblick gesehen hätte, wäre kaum von ihrer Schönheit beeindruckt gewesen, denn ihm wäre etwas ganz anderes aufgefallen. Sicher, Gloria hatte allen Grund zur Furcht, aber das war immer noch keine Entschuldigung dafür, sich so gehenzulassen. Sie war schön und verführerisch, aber sie war auch feige.
    Vielleicht ist es nicht schön von mir, das heute zu enthüllen. Aber mache ich alles dadurch besser, wenn ich schweige und nicht die reine Wahrheit sage?
    Es gab Zeiten, da spielte die Tapferkeit eine geringere Rolle als die äußerliche Schönheit, und zu diesen Zeiten konnte sich Gloria nicht über begeisterte Verehrer beklagen. In dieser überzivilisierten Welt der 60er Jahre kam es auch gar nicht darauf an, ob man tapfer war oder nicht. Man mußte sich nur durchsetzen können – und das erreichte man sehr gut ahne diese Tapferkeit. Gloria, als Frau, kannte ihre Ziele mit Hilfe ihrer Schönheit verwirklichen.
    Doch jene Welt, die Gloria so umworben hatte, war nicht mehr. Sie hatte sich in eine harte, grausame und gefühllose Welt verwandelt, in der jeder der Todfeind des anderen war und in der man ständig die Blicke beutegieriger Mörder im Rücken zu spüren glaubte.
    Es war keine Welt für Gloria.
    Selbst dann, wenn wir in Amerika geblieben wären, in irgendeiner der großen Städte, würde das kaum eine Änderung bedeutet haben. Der Typ eines Mädchens, wie Gloria eins war, starb aus, denn er besaß keine Existenzberechtigung mehr in einer so von der Vernichtung bedrohten menschlichen Gesellschaft. Es gab andere Mädchen, tapfere und kluge Mädchen, die sich selbst zu helfen vermochten und – im wahrsten Sinne des Wortes – ihren Mann standen. Mildred, meine Schwester, mußte heute so ein Mädchen sein, ich wußte es nicht. Wir hatten uns seit Jahren nicht gesehen.
    Sekunden wurden zu Minuten, aber auf der anderen Seite der Tür regte sich nichts mehr. Der Pa-Hund mochte immer noch dort sein und warten, still und ruhig, genau wissend, was er tat.
    „Donny – bitte! Komme endlich zurück und lasse mich nie mehr allein! Hörst du mich, Donny? wenn du mich liebst, dann komm!“
    Weitere Minuten vergingen, und immer noch blieb alles ruhig. Gloria schloß ermüdet ihre
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