Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie
Autoren: Isabelle Neulinger
Vom Netzwerk:
von Seiten, die mich ein kleines Vermögen kosten.
    Ich rufe Igal in Tel Aviv an, um ihn über alles auf dem Laufenden zu halten und ihn zu bitten, mehr über die Hintergründe herauszubekommen. Auch meine Familie fiebert dem Gerichtstermin entgegen.

    Die ganze Situation löst bei mir schreckliche Albträume aus. In einer Nacht träume ich, dass ich mit meinem Sohn zum Baden in die Türkei fliege. Als wir zum Anflug ansetzen, verkündet die Flugbegleiterin jedoch, dass die Maschine in Tel Aviv landen werde. Das ist ein abgekartetes Spiel, das Reisebüro steckt mit den israelischen Behörden unter einer Decke, ich sitze in der Falle! Auf dem Rollfeld warten Militärjeeps, doch statt Soldaten in Uniform steigen ultraorthodoxe Juden aus und stürmen auf uns zu, um mich festzunehmen und Noam fortzuschaffen. In diesem Moment erwache ich, die Angst sitzt mir in allen Gliedern, mein Haar ist nassgeschwitzt. Ich renne ins Kinderzimmer, wo Noam friedlich wie ein Engel schläft.

    Einige Wochen vor der Anhörung vor dem Friedensrichter bekomme ich ganz überraschend einen Anruf von Igal. Shais zweite Ehefrau hat sich heimlich an ihn gewandt und ihn um Hilfe gebeten. Konkret bat sie ihn, sich mit mir in Verbindung zu setzen und meine Zeugenaussage einzuholen, im Gegenzug bietet sie mir ihre Aussage. Sofort vermute ich dahinter eine Falle und lehne ab. Shai weiß nicht, wo ich wohne, und weil er über die Gerichte nichts herausbekommt, hat er zu einer List gegriffen und schickt seine Frau vor. Igal geht nicht auf meine Mutmaßungen ein, sondern erzählt mir ihre Geschichte.
    Irit und Shai heirateten einige Monate nach meiner Abreise, sie hatten sich an einem Sabbat bei Rabbi Asaria kennengelernt. In der Anfangszeit war Shai noch der nette Ehemann, doch sehr schnell wurde er gewalttätig. Nach nur fünf Monaten ließ sie sich von ihm scheiden. Zu diesem Zeitpunkt war sie im vierten Monat schwanger. Shai schlug sie, verfolgte sie. Einmal nach einer heftigen Auseinandersetzung rief Shai seinen Rabbi an. Der riet ihm, die Polizei zu verständigen. Als die Polizisten bei ihnen zu Hause eintrafen, fanden sie eine blutüberströmte Frau vor. Zu Irits Schutz wurde Shai per Gerichtsentscheid untersagt, die Wohnung zu betreten. Nun lebt Irit allein und braucht Hilfe.
    Gebannt höre ich Igal zu. Alles fällt mir wieder ein, als ob es gestern gewesen wäre. Asaria, die Polizei, die Drohungen… Arme Irit, denke ich. Ich schließe die Augen.
    Â«Was möchte sie genau?», frage ich.
    Â«Nur deine Aussage, und du wirst dafür ihre bekommen», versichert mir Igal. «Ich glaube, dass dir ihre eidesstattliche Erklärung für die bevorstehende Gerichtsverhandlung sehr nützlich sein kann. Alles wird über mich laufen, du wirst nicht mit ihr zu reden brauchen.»
    Â«Sag ihr, dass ich einverstanden bin.»
    Igal hält Wort und schickt mir wenig später Irits eidesstattliche Erklärung, unterschrieben in seinem Beisein. Er hat recht, diese Zeugenaussage wird vor Gericht viel wert sein. Sie kommt zu den anderen Dokumenten in die Akte.

    Die Vorstellung, Shai beim Gerichtstermin wieder zu begegnen, bereitet mir Angst. Ich stelle mir tausend Fragen. Kommt er im schwarzen Mantel und mit Hut? Erscheint er alleine? Wird er handgreiflich gegen mich werden?
    Für den Tag der Gerichtsverhandlung haben wir uns gut abgestimmt. Meine Eltern sind frühmorgens aus Frankreich angereist. Meine Mutter wird sich um Noam kümmern, während mein Vater, Octavio und ein paar Freunde mich zum Gericht begleiten werden. Sie sollen als Zeugen auftreten.
    Monsieur Favre ist bei mir, als wir vor dem Gerichtssaal warten. Ich bin sehr angespannt und versuche, mir gut zuzureden. Ich sage mir, dass ich hier in Sicherheit bin und Shai mir nichts anhaben kann. Die Anwältin, die ihm von der Schweizer Zentralbehörde zur Vertretung seiner Interessen beigeordnet wurde, geht auf und ab, das Handy zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Wir warten auf Shai, doch er kommt nicht.
    Die Gerichtspräsidentin bittet uns herein. Shai wird nicht erscheinen, und dies aus gutem Grund: Irit, seine zweite Frau, hat für ihn ein Ausreiseverbot erwirkt, weil er für ihre Tochter keinen Unterhalt bezahlt. So konnte er Israel nicht verlassen, um bei der Verhandlung anwesend zu sein. Mir kommt in den Sinn, dass auch ich für Noam bislang keinen einzigen Schekel gesehen habe.
    Die Verhandlung ist
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher