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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie
Autoren: Isabelle Neulinger
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kämpft die internationale zionistische Frauenorganisation Wizo für eine bessere Gesellschaft in Israel und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Dafür wurde eigens eine Hotline eingerichtet. Nur gibt es von diesen Organisationen leider viel zu wenige.
    Und auch das ist das Israel des 21. Jahrhunderts: ein technisch hochentwickeltes Land, das seit der Staatsgründung von denselben unumstößlichen Gesetzen regiert wird. Sie gehen bis auf die Anfänge zurück, als David Ben-Gurion, einer der Gründerväter Israels, mit den Ultraorthodoxen, die sich gegen die Errichtung eines nichtreligiösen Staats sträubten, einen Kompromiss aushandelte. Um sie zufriedenzustellen, machte Ben-Gurion, der damalige Ministerpräsident, weitreichende Zugeständnisse, zum Beispiel, dass in Israel die göttlichen Sabbatgebote und die Kaschrut, die Speisegesetze, gelten, dass Bildungseinrichtungen streng orthodoxer Juden, insbesondere Schulen, geschützt werden und vor allem, dass den Rabbinatsgerichten in Fragen des Personenstatus die Entscheidungshoheit vorbehalten bleibt. Damit unterstehen Heirat und Scheidung nicht der weltlichen Rechtsprechung, sondern werden ausschließlich von religiösen Gerichten vollzogen. Ultraorthodoxe Juden sind ferner vom Militärdienst befreit, während ihre Töchter dazu verpflichtet werden…
    Seit Ben-Gurion hat sich nichts verändert. Der sogenannte Status-quo-Brief von 1947, der seine Handschrift trägt, gilt noch immer und regelt alle Beziehungen zwischen dem Staat und den Ultraorthodoxen. Auch die Vorschriften der Tzniut zur Kleidung und zum Verhältnis zwischen Mann und Frau sind in diesem Geist geregelt. In manchen israelischen Vierteln gibt es vor Kaufhäusern Warteschlangen für Männer und für Frauen und in Banken und Behörden nach Geschlechtern getrennte Schalter. In einigen Buslinien steigen die Männer vorne und die Frauen hinten ein, und Frauen, die nicht schicklich gekleidet sind, also Beine, Arme, Dekolleté und Haare nicht verhüllt haben oder Hosen tragen, dürfen nicht einsteigen oder werden gar zum Aussteigen gezwungen.
    Trotz allem vermisse ich Israel. Doch ob ich es je wiedersehen werde, ist mehr als ungewiss. Die Freiheit hat ihren Preis. Was mir bleibt, sind meine Träume von Tel Aviv.
    Das ganze Abenteuer war für mich wie ein überdimensionales Schachspiel. Nach jedem missratenen Zug musste ich mir eine neue Strategie zurechtlegen, dort sein, wo man mich nicht erwartete, um schließlich, als alles schon verloren schien, den anderen schachmatt zu setzen. Monsieur Lestourneaud hat mir nach unserem Sieg gestanden, dass uns keiner der Richter und Anwälte aus seinem Freundeskreis auch nur die geringste Chance gegeben hat.

    Wenn ich zum wiederholten Male die buchdicke Gerichtsakte durchsehe, die mich die letzten fünf Jahre Tag und Nacht beschäftigt hat, kommt mir unweigerlich der Gedanke, dass mich dieser Kampf, den ich als Mutter führte, die ihren Sohn behalten wollte, vielleicht um das Schönste gebracht hat: das Erleben von Noams früher Kindheit.
    Mein Sohn ist jetzt sieben Jahre alt, und ich habe nicht nur das Gefühl, seine ersten, seine sorglosesten Lebensjahre verpasst zu haben. In gewisser Weise hatte ich mein Herz verschlossen, weil ich wusste, dass ich ihn jederzeit verlieren könnte. Jeden Tag habe ich mich gefragt, welchen Sinn es überhaupt hat, mich an dieses kleine Wesen zu binden, das mir von der starrsinnigen Justiz weggenommen werden könnte.
    Heute liegt das alles glücklicherweise hinter uns, auch wenn die verlorenen Jahre niemals zurückgebracht werden können. Nachdem ich so lange mit der Angst gelebt habe, gestatte ich mir nun wieder, Pläne zu machen, an die Zukunft zu denken. Jede Minute, die ich mit Noam verbringe, kann ich ganz ohne Hintergedanken auskosten. Ich kann mich mit ihm freuen, kleine und große Kindersorgen mit ihm teilen, ihn ganz einfach grenzenlos lieben, sehen, wie er heranwächst, dazulernt, ein Mann wird.
    Die ganze Zeit über habe ich mich bemüht, meinen Sohn zu schützen, ihm seine Kindheit zu lassen. Mit sieben Jahren beginnt er, Fragen über seine Herkunft, seinen Vater, über Israel zu stellen. Dieses Buch habe ich für ihn geschrieben, damit er versteht, warum er noch nicht in das Land zurückkehren kann, in dem er geboren wurde. Wenn er größer ist, kann er seine Religion nach seinen
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