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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola , Alfred Ruhemann
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Erstes Kapitel.
    Als die Kuckucksuhr im Speisezimmer die sechste Stunde schlug, gab Chanteau jede Hoffnung auf. Er erhob sich mühsam aus dem Lehnsessel, in dem er vor einem Koksfeuer seine schwerfälligen, gichtkranken Beine wärmte. Seit zwei Stunden bereits wartete er auf seine Frau, die nach einer Abwesenheit von fünf Wochen ihm heute ihre kleine Base Pauline Quenu zuführen sollte, eine zehnjährige Waise, deren Vormundschaft das Ehepaar übernommen hatte.
    »Es ist unbegreiflich, Veronika«, sagte er, indem er die Tür zur Küche aufstieß. »Es muß ihnen ein Unglück geschehen sein.«
    Die Magd, ein stattliches Mädchen von fünfunddreißig Jahren mit Männerhänden und der Miene eines Gendarmen, nahm gerade eine Hammelkeule vom Feuer, die zweifellos bereits mehr als gar geschmort war. Sie brummte nicht, doch der Zorn entfärbte die rauhe Haut ihrer Wangen.
    »Die Frau wird in Paris geblieben sein«, gab sie trocken zur Antwort. »Diese Geschichten nehmen schon sowieso kein Ende mehr, das Haus ist bereits auf den Kopf gestellt.«
    »Nicht doch,« erklärte Chanteau, »die Depesche von gestern abend sprach von der endgültigen Regelung der Angelegenheiten der Kleinen ... Meine Frau muß heute früh bereits in Caen eingetroffen sein, wo sie einen kleinen Aufenthalt nehmen wollte, um bei Davoine vorzusprechen. Um ein Uhr ist sie weitergefahren, um zwei Uhr ist sie in Bayeux ausgestiegen; um drei Uhr hat sie der Omnibus von Vater Malivoire in Arromanches abgesetzt, und selbst wenn Malivoire seinen alten Wagen nicht sofort angeschirrt haben sollte, hätte meine Frau trotzdem bereits gegen vier Uhr hier sein können, spätestens um halb fünf. Von Arromanches bis Bonneville sind kaum zehn Kilometer.«
    Die Köchin hörte alle diese Berechnungen an, ohne den Blick von ihrer Hammelkeule abzuwenden, und zuckte nur mit dem Kopfe. Nach kurzem Zögern setzte Chanteau hinzu:
    »Du solltest einmal bis zur Ecke gehen, Veronika.«
    Sie sah ihn an, und der verhaltene Zorn machte sie noch bleicher.
    »So? Und warum? ... Herr Lazare panscht draußen schon bis zu ihrer Ankunft im Schmutze herum; es verlohnt sich gerade, daß ich mich auch noch bis zu den Schenkeln vollschlampe.«
    »Es ist nur, weil auch der Junge mir angst zu machen beginnt«, bemerkte Chanteau sanft ... »Er kommt auch nicht wieder. Was hat er nur seit einer Stunde auf der Straße zu suchen?«
    Veronika nahm, ohne ein Wort weiter zu verlieren, einen alten, schwarzen Wollschal vom Nagel, den sie über Kopf und Arme zog. Als ihr Herr ihr auf den Flur hinaus folgte, sagte sie schroff zu ihm:
    »Machen Sie nur, daß Sie wieder an Ihr Feuer kommen, sonst heulen sie morgen vor Schmerzen den ganzen lieben Tag.«
    Auf der Vortreppe zog sie ihre Holzschuhe an, nachdem sie die Tür eilig zugeschlagen hatte, und schrie dabei in den Wind hinaus:
    »Gott von einem Gotte! Muß so eine Rotznase kommen, die sich schmeicheln kann, uns alle toll zu machen!«
    Chanteau regte sich nicht weiter auf. Er war bereits an die heftige Art des Mädchens gewöhnt, das mit fünfzehn Jahren in den ersten Monaten seiner Ehe bei ihm in den Dienst getreten war. Als das Klappern ihrer Holzschuhe verhallt war, machte er sich wie ein Schulbube auf Ferien davon. Er pflanzte sich am anderen Ende des Flurs hinter einer Glastür auf, welche die Aussicht auf das Meer bot. Ein kleiner, dickbäuchiger Mann mit farblosem Gesicht, stierte er mit seinen großen, hervorquellenden blauen Augen unter der schneeigen Hülle seiner kurz geschorenen Haare einen Augenblick gedankenlos den Himmel an. Er zählte erst sechsundfünfzig Jahre, die Gichtanfälle hatten ihn jedoch frühzeitig gealtert. Von seiner Besorgnis abgelenkt, dachte er mit in die Weite sich verlierenden Blicken darüber nach, daß die kleine Pauline schließlich wohl auch Veronika für sich gewinnen werde.
    War es im übrigen seine Schuld? Als der Pariser Notar ihm schrieb, daß sein seit sechs Monaten verwitweter Vetter Quenu ebenfalls gestorben sei und ihn, Chanteau, laut Testament zum Vormunde seines Töchterchens ernannt habe, hatte er es nicht über sich vermocht, sich dieser Aufgabe zu entziehen. Man kannte sich allerdings kaum, denn die Familie hatte sich hierhin und dorthin zerstreut. Chanteaus Vater hatte ehedem einen Handel mit Holz aus dem Norden begonnen, nachdem er vom Süden fortgezogen war und ganz Frankreich als schlichter Zimmergeselle durchwandert hatte. Der kleine Quenu dagegen war nach dem Tode seiner Mutter nach Paris
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