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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie
Autoren: Isabelle Neulinger
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außer einer: den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
    Ich werde kämpfen, schließlich geht es um die Zukunft meines Sohnes. Noch weiß ich nicht, wie ich vorgehen werde, aber ich werde ihnen die Stirn bieten. Da sich die Presse schon auf meinen Fall gestürzt hat, werde ich sie nun meinerseits für meine Sache einspannen. Unter einem Pseudonym gebe ich einer Schweizer Wochenzeitung mein erstes großes Interview.
    Die Öffentlichkeit muss auf uns aufmerksam gemacht werden. Nur wie?
    Zwei Tage später zeichnet sich ein Weg ab: Eine Freundin erzählt mir von der Möglichkeit einer Online-Petition, ein Freund hilft mir, sie zu erstellen, und noch am selben Abend steht sie im Internet. Mit neuem Elan organisiere ich eine Unterschriftenaktion auf der Place Saint-François, einem der belebtesten Plätze in Lausanne. Von der Gewerbepolizei erhalte ich die dazu notwendige Genehmigung, doch der angesetzte Termin ist sehr spät: Erst am 15. September werde ich meinen Stand errichten können, also zwei Wochen bevor die Frist abläuft, die das Bundesgericht für Noams Rückkehr nach Israel festgelegt hat.
    In Belgien machen sich unterdessen meine Freunde von früher für mich stark. Pauline, eine Kollegin, die in der Brüsseler Niederlassung meines Unternehmens arbeitet, ruft mich an und fragt, wie sie mir helfen könne.
    Â«Ich brauche einen Anwalt, der auf internationales Privatrecht und Menschenrechte spezialisiert ist», antworte ich.
    Â«Ich werde mich umhören», verspricht sie.
    Â«Und, Pauline, vor allem brauche ich ein Wunder», füge ich hinzu.
    Das Wunder zeigt sich in Gestalt von Alain Lestourneaud, einem französischen Anwalt für internationales Privat- und Personenrecht. Er wurde mir durch Paulines Vermittlung von ihrem Kollegen Antoine, der ebenfalls als Anwalt für unsere Niederlassung in Brüssel tätig ist, nachdrücklich empfohlen. Antoine hat bereits mit ihm gesprochen, Monsieur Lestourneaud erwartet meinen Anruf. So weit, so gut, doch ich kann ihn nicht erreichen, und mittlerweile haben wir schon den 4. September. Als wir uns endlich am Telefon sprechen, hat er sich bereits ein erstes Bild von meinem Fall gemacht und erklärt mir, dass er die Angelegenheit auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention prüfen möchte. Mit anderen Worten: Er schlägt mir vor, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anzurufen.
    Wir verabreden uns für den 11. September. Ich habe Glück, Monsieur Lestourneaud wohnt nicht am andern Ende von Frankreich, sondern in Thonon-les-Bains, direkt gegenüber von Lausanne, auf der anderen Seite des Genfersees.

«Das ist eine Bombe!»
    Am 11. September komme ich mit meiner vollständigen Akte bei Monsieur Lestourneaud an. Er nimmt sich viel Zeit, um meine Geschichte in allen Einzelheiten zu erfahren.
    Als ich mit Erzählen fertig bin, schaut er mich an und sagt: «Liebe Frau Neulinger, ihre Akte ist eine Bombe! In dieser Sache geht es sowohl um internationales Recht als auch um Kinder- und Frauenrecht, um Religionskonflikte, um das Haager Übereinkommen und vieles andere mehr.»
    Eine Bombe, na schön. Aber besteht auch der Hauch einer Chance, dass sie uns nicht in den Händen explodiert?
    Der Anwalt spielt mit offenen Karten. Er macht keinen Hehl daraus, dass die Erfolgsaussichten fast gleich null sind, obwohl unsere Argumente hieb- und stichfest sind und Shai immerhin schon zwei Niederlagen vor Schweizer Gerichten eingebracht haben.
    Am Ende kommen wir noch auf eine Sache zu sprechen, die mich nicht gerade zuversichtlich stimmt: Erst vor kurzem hat das Straßburger Gericht die Klage eines Elternteils in einem ähnlichen Fall abgewiesen. Im Übrigen müsste ich, falls ich das Verfahren weiterführen möchte, mit Kosten in Höhe von mehreren Zehntausend Euro rechnen…
    Ich brauche Bedenkzeit. Doch bis Ende September sind es nur noch wenige Wochen.

    Am 15. September stelle ich wie geplant meinen Unterschriftenstand im Stadtzentrum von Lausanne auf. Darüber spanne ich ein großes Banner, das Mathieu angefertigt hat und auf dem steht: «Damit Noam in der Schweiz bleiben kann». Freunde, Verwandte und Kollegen sind gekommen, um mich zu unterstützen. Den ganzen Tag lang erklären wir interessierten Passanten die Gründe meines Vorgehens. Ein Kamerateam filmt uns für die
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