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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal
Autoren: Heiner Lauterbach
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WARUM DIESES BUCH?
    Stellen Sie sich einmal vor, Romeo Montague – Sie wissen schon, der junge Geliebte Julias, Verona, Balkon und so – wäre mein Jahrgang. Stellen Sie sich weiterhin vor, in letzter Minute wäre der Rettungswagen in der Familiengruft von Verona eingetroffen.
    Die Notärzte entdecken Romeo und Julia, wie sie da vergiftet und erdolcht auf dem harten Marmorboden liegen. Stellen Sie sich des Weiteren vor, die Ärzte treffen früh genug ein, um die beiden jungen Italiener wieder ins Leben zurückzuholen. Romeo pumpen sie den Magen aus, stabilisieren seinen Kreislauf mit ein paar Infusionen. Julia bekommt Blutkonserven, noch auf dem Friedhof leiten die Ärzte die Not- OP ein, sie rettet der jungen Frau das Leben. Nach ein paar Wochen werden die beiden kerngesund aus dem Krankenhaus entlassen. Die verfeindeten Familien Montague und Capulet sind sehr gerührt von der Größe einer Liebe, für die ihre Kinder sogar bereit gewesen waren, sich selbst aufzugeben. Sie versöhnen sich nicht erst, wie von Shakespeare vorgesehen, über den Gräbern ihrer Kinder, sondern auf deren Hochzeit. Was gibt das für ein rauschendes Fest! Die Flitterwochen von Romeo und Julia sind fantastisch. Pures Glück: zwei wunderschöne, junge Menschen, das Leben, eben noch bereit, für den anderen geopfert zu werden, jetzt in seiner ganzen Wunderbarkeit noch vor sich.
    Die Medien sind aus dem Häuschen. Die Boulevardpresse stürzt sich mit Anlauf auf die beiden, Brad Pit und Angelina Jolie erblassen vor Neid. Was für Bilder und Geschichten! Ich bin mir sicher, jeder Klatschreporter zieht Geschmacksfäden, wenn er nur darüber nachdenkt.
    Ja, und dann? Wie wäre es weitergegangen mit den zwei glücklich Verliebten?
    Die meisten Geschichten hören genau da auf, wo es eigentlich spannend wird. Nach dem Happy End oder, wie in diesem Fall, nach dem tragischen Unglück. Die meisten Filme handeln von einem Glücksversprechen oder einer Hoffnung, die aber dann, wenn die Drachen getötet und die Verbrecher gefangen sind, im wahren, eigentlichen Leben, nicht mehr eingelöst werden. Eine große Liebe wie die von Romeo und Julia muss nicht den Beweis antreten, dass sie auch den Alltag übersteht. Was meiner Meinung nach die viel größere Herausforderung ist.
    Womit hätten die beiden ihre Zeit verbracht – mit Bällen, pardon: Events, wie man heute sagt, Theaterbesuchen? Julia ist zu Beginn der Tragödie nicht einmal fünfzehn Jahre alt. Was, wenn sie sich mit Anfang zwanzig in ihren spanischen Reitlehrer verliebt? Wie gehen die beiden damit um? Wie schaffen sie es dennoch, glücklich miteinander alt zu werden?
    Wir werden Romeo nie sehen, wie er gemütlich zu Hause abhängt, Chips futtert und die Sportschau guckt.
    Es gibt auch keinen Film darüber, womit sich Pretty Woman und Richard Gere im Jahr fünf ihrer Ehe die Zeit vertrieben hätten. Dabei wäre es durchaus interessant zu erfahren, ob der schnöselige Richard sich weigert, den Müll runterzubringen. Und ob Julia wohl jemals die Angewohnheit ablegt, sich auf die Couch zu legen, ohne diese hohen Stiefel auszuziehen, die ihr bis über die Knie reichen. Vielleicht entdecken die beiden eine gemeinsame Leidenschaft für Kreuzworträtsel oder freuen sich, weil sie eine günstige Rentenversicherung abgeschlossen haben.
    Der russische Schriftsteller Leo Tolstoi behauptet am Anfang seines Romans Anna Karenina : »Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.« Ich frage mich, ob die Sozialwissenschaft das schon mal überprüft hat. Selbst wenn es so wäre – warum kenne ich nicht wenigstens einen Roman, der davon handelt, wie es ist, ein zufriedenes Leben zu führen? Während es umgekehrt Millionen Bücher über Familien gibt, deren Leid so groß scheint, dass es kaum zwischen zwei Buchdeckel passt? Wäre es nicht viel nützlicher, einmal zu beobachten, wie man es erreicht, zufrieden zu sein und vor allem: es auch zu bleiben?
    Vielleicht sind wir Menschen ein wenig süchtig nach Unglück. Vielleicht messen wir den Extremsituationen manchmal mehr Bedeutung zu als ihrer Bewältigung. Vielleicht sind uns unsere schwierigsten Söhne und Töchter insgeheim die Liebsten.
    Keine Frage: Es ist aufregend, Bären zu töten, mit dem Schiff um die Welt zu segeln, um eine Liebe zu kämpfen, sich gegen den Feind zur Wehr zu setzen, Aliens zu jagen, einen Auftragsmörder zu schnappen oder die Schranken zwischen den sozialen Schichten
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