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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie
Autoren: Isabelle Neulinger
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Wochenende, also sonntags, wie es von meinem Arbeitgeber gewünscht wird. So komme ich unverhofft an Geld, um mir ein Auto zu kaufen.

Der Führerschein
    In Israel gehört man erst richtig dazu, wenn man im Besitz des Führerscheins ist, des israelischen Führerscheins, wohlgemerkt. Nachdem ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln Bekanntschaft gemacht habe, kommt bei mir schnell der Wunsch auf, mich auf effizientere Art fortzubewegen. Ich benötige neben dem Auto ebendiesen Führerschein. Mich erwartet die zweifellos ausgewachsenste Erfahrung in Sachen Bürokratie.
    In der festen Annahme, meinen Führerschein anerkennen zu lassen, sei eine reine Formsache, habe ich vor meiner Abreise meine Augen beim Arzt untersuchen und mir zusätzlich zu meinem belgischen und meinem Schweizer Führerschein einen internationalen Führerschein ausstellen lassen. Nachdem ich mir drei Tage lang vergeblich die Finger wund gewählt habe, um die zuständige Abteilung im Verkehrsministerium zu erreichen, begebe ich mich kurzerhand persönlich zur Zulassungsstelle für die Region Tel Aviv, ausgerüstet mit meinen drei magischen Dokumenten und dem Attest des Augenarztes. Ich ziehe eine Nummer, warte vier Stunden und sinke immer mehr in mich zusammen. Die Frau am Schalter, die genauso zuvorkommend ist wie die Verwaltungsbeamtinnen vor ihr, klärt mich darüber auf, dass der Führerschein aus meinem Herkunftsland nur in den ersten drei Monaten nach meiner Alija gültig sei. Und das Beste: Für den israelischen Führerschein müsse ich eine praktische Fahrprüfung ablegen.
    Ich kann noch so viel argumentieren, ihr meine Führerscheine und die ärztliche Bescheinigung unter die Nase halten – die Dame möchte davon nichts wissen. Schroff bleibt sie bei ihrer Aufforderung, mich mit dem Sehtest eines Optikers oder eines zugelassenen Augenarztes, einem ärztlichen Gesundheitsattest, dem Original und der Kopie meines ausländischen Führerscheins, dem Immigrantenausweis, meinem Identitätsausweis und meinem Pass sowie einem ordnungsgemäß ausgefüllten Antrag auf Umschreibung des Führerscheins wieder an Ort und Stelle einzufinden. Ich widerstehe der Versuchung, ihr den Vogel zu zeigen, und verlasse das Zimmer so gefasst wie möglich.
    Man erzählt mir, dass im Zuge der großen Einwanderung von 1989, die auf die Öffnung des Eisernen Vorhangs folgte, massenhaft Leute mit gefälschten Papieren ins Land kamen: falschen Nachweisen ihrer jüdischen Zugehörigkeit, falschen Pässen und eben auch falschen Führerscheinen. Was sich danach Unschönes auf den Straßen abspielte, ließ die verantwortlichen Behörden hart durchgreifen. Fortan mussten alle Neuankömmlinge unabhängig von ihrem Herkunftsland eine Fahrprüfung mit einem Prüfer des Verkehrsministeriums ablegen und, auf dringendes Anraten, für ein kleines Vermögen Fahrstunden bei einer zugelassenen Fahrschule nehmen.
    Ich könnte explodieren und verfluche jeden dieser Einwanderer und sämtliche Beamten obendrein. Ich habe nicht die geringste Lust, mich mit einem Fahrprüfer anzulegen. Außerdem wirkt der Fahrstil der Israelis sowieso nicht gerade vertrauenerweckend auf mich. Es ist kein Geheimnis, dass sich auf Israels Straßen allerlei Psychopathen tummeln, die rote Ampeln überfahren, andere schneiden, rechts überholen, einem die Vorfahrt nehmen und grundsätzlich vor nichts zurückschrecken, um andere einzuschüchtern. Ganz egal, wohin man fährt, der israelische Autofahrer ist darauf programmiert, früher ankommen zu wollen, ungeachtet der Verkehrsregeln und anderer Verkehrsteilnehmer. Wenn man wider besseres Wissen anhält, um einen Fußgänger über die Straße zu lassen, oder eine Hundertstelsekunde zu spät losfährt, sobald die Ampel auf Grün springt, prasseln alle nur denkbaren Beleidigungen und Drohungen auf einen herab, das Ganze begleitet von einem ohrenbetäubenden Hupkonzert und einem Lichtspiel der Scheinwerfer. Sicherheitsgurte und Blinker sind überflüssig, Bremspedale nicht vorhanden, Rückspiegel werden nur selten genutzt, die Beschilderung gleicht einem Dschungel. Wenn der israelische Autofahrer nicht gerade mit Schimpfen beschäftigt ist, telefoniert er, schreibt SMS oder isst. Und Frauen am Steuer sind da keinen Deut besser. Die Statistiken sprechen für sich: Jedes Jahr sterben in Israel mehr Menschen
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