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Meinen Sohn bekommt ihr nie

Titel: Meinen Sohn bekommt ihr nie
Autoren: Isabelle Neulinger
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im Straßenverkehr als bei kriegerischen Auseinandersetzungen und durch Attentate zusammen.
    Ich gebe mich geschlagen und schaue mich nach einer Fahrschule um, da ich um die Prüfung nicht herumkommen werde. Meine Fahrlehrerin Zeeva ist wundervoll, und sie spricht Englisch. Wir vereinbaren, dass sie mich mit dem Auto der Fahrschule am Wohnheim abholen wird. Am Tag X setze ich mich angespannt ans Steuer, meine erste Fahrstunde beginnt. Einen besseren Zeitpunkt hätten wir uns nicht aussuchen können: Es ist sieben Uhr abends, beste Feierabendverkehrszeit, die Straßen sind voll, und die Leute haben es eilig, nach Hause zu kommen. Ich gebe mir alle Mühe, aber nichts gelingt. Weil ich mich streng an die Verkehrsregeln halte, werde ich zur Zielscheibe der Beschimpfungen ungehaltener Autofahrer und verliere völlig den Kopf. Nach zehn Minuten macht Zeeva meinem Leiden ein Ende und bedeutet mir, rechts abzubiegen und das Auto in einer ruhigen Straße abzustellen.
    Sie schaut mich an und schüttelt den Kopf: «Isabelle, so geht das nicht. Man merkt deinem Fahrstil sofort an, woher du kommst. Wenn du in diesem Land fahren willst, lass deine Gewohnheiten zu Hause. Halte nicht an, wenn alte Damen über die Straße oder Autos einparken möchten, sei nicht so zaghaft, und benutze um Himmels willen wie alle andern die Hupe.»
    Nach fünfzig nicht enden wollenden Minuten in der israelischen Straßenhölle setzt mich Zeeva zu Hause ab und macht mir mit den altbekannten Worten Mut: «Mach dir keine Sorgen, ihye beseder , das wird schon…»
    Den Tränen nahe, treffe ich auf Jacobo, meinen kolumbianischen Freund, der sich nach meinen Fortschritten am Steuer erkundigt.
    Ich seufze: «Jacobo, das schaffe ich nie, die Leute hier fahren wie die Wahnsinnigen.»
    Er lächelt: «Alles ist relativ. In Bogotá kann es passieren, dass dir einer die Knarre vor die Nase hält und dich abknallt, wenn er deinen Fahrstil nicht schätzt. Für dich ist das hier die Hölle, für uns Kolumbianer ist es das Paradies.»
    Danke für diesen Hinweis, Jacobo, ich werde ihn nicht vergessen. Es stimmt, dass alles nur eine Frage des Blickwinkels ist. Vor allem hier in Israel.

    Nach acht Fahrstunden findet Zeeva, dass ich den Gebrauch der Hupe ausreichend beherrsche, und meldet mich zur praktischen Prüfung an. Als der Tag gekommen ist, bin ich ein Nervenbündel. Mir ist bewusst, dass ich nur einmal wiederholen kann. Sollte ich ein zweites Mal durchfallen, müsste ich zusätzlich noch einmal die theoretische Prüfung ablegen und mindestens achtundzwanzig weitere Fahrstunden absolvieren, was mich eine Menge Zeit und Geld kosten würde. Der Prüfer ist nicht sehr gesprächig, doch das ist mir gleich, ich konzentriere mich ganz aufs Fahren. Ich habe das Glück, dass meine Prüfung um sechs Uhr morgens stattfindet. Zu dieser Uhrzeit sind die Straßen von Ra’anana wie ausgestorben. Der Prüfer lotst mich aus der Stadt in Richtung Tel Aviv, damit ich mich auf der Autobahn mit den anderen Verkehrsteilnehmern messen kann. Am Ende der Prüfung bin ich mir sicher, nichts falsch gemacht zu haben, und wende mich fragend zum Prüfer um. Zu meinem Erstaunen verweigert er mir eine Antwort, meint nur knapp: «Das Ergebnis erfahren Sie später», und schon ist er verschwunden.
    Völlig baff rufe ich Zeeva an, die mir bestätigt, dass sie den Entscheid erst am Abend oder am nächsten Morgen erfahre. Es ist offenbar noch nicht lange her, dass einige aufbrausende Fahrschüler ihre Prüfer vermöbelten, nachdem sie erfahren hatten, dass sie nicht bestanden hätten. Verständlicherweise geht das Verkehrsministerium seither kein Risiko mehr ein und gibt die Prüfungsergebnisse erst später bekannt, und zwar ausschließlich den Fahrlehrern.
    Abends ruft mich Zeeva an, ich habe bestanden. Halleluja! Jetzt brauche ich nur noch ein Auto.
    Inzwischen ist es Winter geworden. Das Wetter ist kühl und regnerisch und viel rauer, als ich erwartet habe. Innerhalb der Betonwände des Zentrums ist es eisig kalt, Heizungen gibt es keine. Wie fast überall im Land funktionieren die Boiler mit Sonnenenergie, was bedeutet, dass wir kein Warmwasser haben, wenn es regnet. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mir eine warme Decke und einen elektrischen Heizofen zu besorgen, der ununterbrochen läuft und vor dem Betsy und ich zusammengekauert unsere Abende
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