Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Glueck allein

Glueck allein

Titel: Glueck allein
Autoren: Sylvia Halcour
Vom Netzwerk:
Nachtliebe
     
    Ich blinzelte. Das Licht stach mir in die Augen. Ein starker Schmerz erfasste meine Schläfen. Ich zählte die Sekunden, bis er verklang. Meine Beine fühlten sich kalt und bleiern an. Schwerfällig streckte ich sie. Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass ich in der letzten Nacht aus war und sehr viel, zu viel getrunken hatte. Unter meinem Nacken war es angenehm warm. Fröstelnd schmiegte ich mich in die Wärme hinein. Bis ich erschrak. Es war warm?
    Augenblicklich war ich hellwach. Bewegungslos lauschte ich dem fremden Atem, der ruhig und gleichmäßig war. Erst nach einer Weile wagte ich es, meinen Kopf zu heben. Murrend zog er seinen Arm unter mir weg und wandte sich von mir ab. Fremder, steh doch jetzt einfach auf und geh, bat ich ihn innerlich. Aber sag vorher noch, dass du mich liebst, ansonsten würde es mich verletzen.
    Doch der Schlafende rührte sich nicht. Seufzend ließ ich mich zurück ins Kissen sinken. Warum war es mir nicht möglich gewesen, alleine nach Hause zu gehen?
    Aber ich wusste es schon. Erinnern braucht keine Zeit. Ein Atemzug genügt, um zu wissen, was von Bedeutung war.
    Und am Anfang der Nacht war nichts bedeutender gewesen, als nun, nach wochenlangem Lernen und Prüfungen voller Aufregung und Angst, an diesem Ort zu sein, in der Sonnenfinsternis, einem Club aus den Achtzigerjahren, in neuem Glanz wiedereröffnet – genauso fühlte ich mich.
    Der Hinterhof der Sonnenfinsternis war mit Pflanzen geschmückt und vom Boden her warm erleuchtet. Aus dem Innern des Clubs ertönten gedämpft die Bässe der Musik. Unzählige Gespräche um mich herum verwandelten sich in eine Melodie, als summte der Hof ein Lied. Ein lauer Wind strich über meine Wangen und mein Cocktail schmeckte nach Erdbeeren. Die ganze Zeit hatte ich den Sommer herbeigesehnt. Nun sog ich seinen Duft, seine Wärme in mich ein und es erschien mir, als hätte ich Monate in Einsamkeit und Kälte verbracht.
    Hanna war nach ihrem Scheitern beneidenswert dünn geworden. Ihre Knochen stachen an ihren Schultern hervor und ihr Gesicht war kantig und schmal. Maria dagegen war auseinander gegangen. Ihre Arme waren kräftig und ihre Hüften breit geworden und irgendwie beruhigte mich das. Sie war nicht im Examen, sondern in der Liebe gescheitert, aber ihre Augen spannten wie Hannas, wenn man nur davon sprach.
    Wir standen an einer Theke aus Bambusholz, von der aus ich einen freien Blick auf die schwarz lackierte Tür hatte, die das schwitzende Innere des Clubs mit dem Hof verband, so dass ich mir jeden Mann, der seinen Fuß auf den mit weißen Kieselsteinen bestreuten Boden setzte, anschauen konnte. In Gedanken sortierte ich wie ein Türsteher: Nein, nein, zu klein, die Haare, nein, Geduld, niemals – ach, den kenn ich doch. Der dicke Paul hatte den Hof betreten. Auch ein Jurist, nur war sein erstes Examen älter als meins und sein zweites schon zum Greifen nah. Wenn Paul lauthals lachte, was er oft und gerne tat, sprang sein kugelrunder Bauch auf und ab, bis er wie ein Flummi mit immer kleiner werdenden Sprüngen langsam wieder zur Ruhe kam. Aber wenn er mal nicht lachte und seine Finger hinter seinem Rücken verknotete, konnte ich die geifernden Blicke und den Durst in seinen Augen sehen.
    »Emilia!« Paul stürzte auf mich zu und umarmte mich stürmisch. »Du hier! Das ist ja wirklich eine Überraschung. Hätte ich das geahnt. Warte, Moment, Christian«, rief er und winkte einem Mann mit kurzem aschblonden Haar. Der schaute an uns vorbei, woraufhin Pauls Arm immer hektischer wedelte und erst als es für alle unübersehbar war, gab er nach und trat in unsere Runde. Seine Stirn war durch eine tiefe Furche geteilt und seine abweisende Art entfachte in mir den Drang, besonders nett zu ihm zu sein, damit er nur ein bisschen nett zu uns war.
    »Das ist Christian, er arbeitet schon als Anwalt«, stellte Paul ihn vor, woraufhin Maria rief: »Mein Gott, nur Juristen heut Abend«, aber da ich Christians finstere Blicke sah, konnte ich ihr Lachen nur befangen erwidern.
    Paul drehte sich suchend um. »Wo ist Sascha?«
    Unwillkürlich folgten wir seinem Blick. Wie ein Münzautomat spuckte der Ausgang zum Hof einen letzten Mann aus. Ein Stromschlag jagte durch meine Glieder und mein Kinn fuhr hoch. Mein Ellenbogen stieß in Marias Seite und auch sie richtete sich blumenhaft auf. Sascha, lächelnd und sonnengebräunt wie ein Surfer, kam auf uns zu.
    »Hi, ich bin Emilia«, sagte ich und streckte ihm meine wachsweiche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher