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Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest

Titel: Mein Leben, die Liebe, und der ganze Rest
Autoren: Dagmar Hoßfeld
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sind, küssen wir uns im Flur, bevor wir zu den anderen gehen.
    In der Schule haben wir vor Urzeiten mal über Götterverehrung gesprochen. Ein Wettergott war auch dabei, der, wenn ich mich recht erinnere, Ba’al hieß und eine ugaritisch-phönizische Gottheit war, was immer das heißen mag. Spontan beschließe ich, meine Party diesem Ba’al zu widmen. Möglicherweise war er es, der dafür gesorgt hat, dass Phillip und ich einen himmlischen Frühlingsabend vorfinden, als wir auf die Terrasse treten.
    Hat es vorhin wirklich geregnet oder hab ich mir das ganze Drama nur eingebildet? In unserem Apfelbaum singt eine Amsel, der Rasen ist so gut wie trocken und das Lüftchen mehr als lau. Es ist so angenehm, fast schon maimäßig, dass nicht mal Mr Muskeltoast etwas zu meckern hat.
    Juhu! Doch keine Gummistiefel! Der Abend ist gerettet. Mein Abend.
    Paulchen steht am Grill und flirtet mit Lena. Billi kümmert sich um die Musik. Lukas klebt an Anna. Der Rest unterhält sich und wartet darauf, dass es losgeht.
    Meine Eltern haben sich diskret zurückgezogen. Ich glaube, sie hocken in Papas engem Arbeitszimmer im Keller und gucken eine DVD auf seinem PC . Von mir aus dürfen sie ihren Aufenthalt dort gerne bis zum Frühstück ausdehnen, kein Problem.
    Jakob ist bei einem Freund – mit Übernachten. Es besteht also keine Gefahr, dass mein kleiner, manchmal ziemlich peinlicher Bruder uns nervt.
    Langsam fange ich an, den Abend zu genießen.
    „Yes!“, sage ich entschlossen und gebe Billi ein Zeichen, dass sie die Musik ein bisschen lauter drehen soll. Grinsend folgt sie meiner Aufforderung.
    I want you to make me feel like I’m the only girl in the world! , röhrt es aus den Boxen.
    Phillip nimmt meine Hand und zieht mich auf den Rasen.
    „Eigentlich wollte ich zuerst Geschenke auspacken“, protestiere ich halbherzig, aber er lacht nur.
    Okay, wird eben zuerst getanzt.
    Die Amsel hat sich längst verkrümelt und einen anderen Baum für ihr Abendlied angesteuert. Dafür füllt sich die Tanzfläche, äh, sorry, der Rasen mit jedem Song. Wenn das so weitergeht, werde ich verhungern.
    Paul und Jesko haben die erste Ladung Würstchen auf den Grill gepackt. Es riecht total lecker, und mein Magen meldet sich mit einem heftigen Knurren, das klingt, als hätte ich einen Grizzly gefrühstückt. Mir fällt ein, dass ich seit dem Frühstück tatsächlich nichts Anständiges gegessen habe, aber dummerweise ist gerade Engtanzen angesagt, und Phillip und ich tanzen ziemlich eng. Genauer gesagt würde zwischen uns nicht mal ein Löschblatt passen, so eng. Ich spüre seine Bauchmuskeln und noch etwas anderes. Seine Hände krabbeln unter meine kurze Bluse und streicheln meinen Rücken. Ganz langsam, sanft und zärtlich. Es kitzelt wie verrückt und ich bekomme überall Gänsehaut, nicht nur außen, sondern auch innen, ungelogen! Aber es ist die schönste Gänsehaut der Welt. Sein Mund auf meinem Mund, seine Lippen auf meinen Lippen. Ich habe das Gefühl, als würde ich schmelzen. Seine Zungenspitze schiebt sich zwischen meine Zähne. Zart, aber auch ein bisschen verlangend, forschend. Ganz kurz überlege ich, ob meine Eltern uns vielleicht sehen können. Nichts wäre mir peinlicher, als von ihnen bei so etwas Intimem wie einem Zungenkuss beobachtet zu werden. Aber es ist mittlerweile schon ziemlich dunkel. Im Schein der bunten Lichterketten, die überall hängen, sind die Tanzenden wahrscheinlich kaum voneinander zu unterscheiden. Und die Knutschenden auch nicht. Ich konzentriere mich also voll und ganz auf den Kuss. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, ewig so weiterzutanzen.
    Paul zerstört die Romantik mit einem Schlag, indem er lautstark verkündet, dass die erste Ladung Würstchen und Koteletts fertig ist. Passenderweise ist der langsame Song gerade zu Ende. Phillip und ich lösen uns schweren Herzens voneinander und stürzen uns wie die anderen auf die Pappteller. Gegenseitig schaufeln wir uns Nudelsalat und Ketchup auf und lassen das Ganze von Paul mit je einer Grillwurst krönen. Schon der Anblick lässt mich erwartungsvoll sabbern. Küssen verbrennt Kalorien und macht hungrig, ganz klar!
    „Wann willst du eigentlich dein Geschenk aufmachen?“ Anna steht neben mir, ein winziges Häufchen Salat und eine halbe Wurst auf dem Teller. Ist sie ausgerechnet heute auf Diät?
    „Gleisch“, nuschele ich. Der erste Bissen meiner Wurst ist so heiß, dass ich ihn zwischen den Schneidezähnen festhalte und
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