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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft
Autoren: Arena
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1
    Der Junge saß auf der Treppenstufe. Einen Augenblick spielten seine Finger noch mit den kleinen Steinchen. Plötzlich schlossen sich die Hände zu Fäusten. Er hob den Kopf.
    »Jean?«, flüsterte er. Doch das Mädchen lief bereits weiter. Die Nachbarinnen standen an diesem Peter-und-Pauls-Tag an der Pumpe beisammen. Hermines Nachricht zerriss ihr Lachen und Schwatzen. Die geschmückte Pumpe, eben noch Mittelpunkt fröhlicher Ausgelassenheit, ragte fremd und unpassend über die Köpfe der verstörten Frauen hinweg. Bunte Bänder flatterten im Wind, doch keine Hand haschte mehr danach.
    Sigi warf die Steinchen auf das Pflaster, sprang auf, stürzte an den Frauen vorbei, rannte zum »Goldenen Apfel« und schlüpfte in den schmalen Flur, der längs durch das ganze Haus führte. Stimmen drangen aus der Gaststube. In das Hinterhaus gelangte er über den Hof. Dort kegelte Vater mit den Nachbarn.
    Sigi riss die Tür auf. Stimmengewirr und Tabaksqualm schlugen ihm ins Gesicht. Seine Augen gewöhnten sich an das trübe Licht. Niemand beachtete ihn. Vater saß am breiten Ende des Tisches. Er redete auf Franz Nigge ein. Aus den Gesten und Satzfetzen verstand Sigi, dass er erklärte, mit welch geschickter Drehung der Kugel er den rechten Bauern aus allen neun herausgeschossen hatte.
    Sigi drängte sich durch den schmalen Raum zu ihm hin.
    »Was willst du?«, fragte der Vater verstimmt. Er liebte es nicht, dass Sigi sich zu den Männern gesellte.
    Der Junge beugte sich zu ihm und sprach leise auf ihn ein.
    »Was gibt es?« Als der Junge immer noch flüsterte, sagte er laut: »Sigi, du weißt, dass ich nicht gut hören kann. Sprich laut und deutlich.« Der Ärger stand ihm im Gesicht. Sigi schluckte und stieß dann hervor: »Jean Seller ist tot. Erstochen worden ist er. Er liegt in Schyffers’ Scheune.«
    »Tot?«
    In die plötzliche Stille hinein donnerte die Kugel gegen die Hölzer. »Kranz!«, schrie der Kegeljunge. Niemand blickte auf die rollenden Hölzer, keiner achtete auf diesen gelungenen Wurf von Huymann.
    Die Männer starrten den Jungen an. Schließlich wischte sich Bernd Hegenstock den Bierschaum aus dem Schnurrbart und sagte: »Woher weißt du das, Sigi?«
    Breuermann fügte hinzu: »Aber kein Gerede, hörst du?«
    »Schyffers’ Hermine hat es gerade gesagt. Nora hat den Jean in der Scheune gefunden. Sie wollte das Futter für das Vieh holen. Jean liegt auf der Spreu.«
    »Erstochen?«
    »Das hat Hermine erzählt.«
    Plötzlich kam Bewegung in die Schar. Die Männer drängten weg von der Kegelbahn, eilten den nahen Häusern zu und atmeten auf. Bei ihnen zu Haus saßen alle um den Tisch. Keiner fehlte.
    Sigi und sein Vater gingen durch den Laden in die Stube. Frau Waldhoff, die den Tag über mit Kopfschmerzen im Bett gelegen hatte, war aufgestanden und reinigte und beschnitt den Docht der Petroleumlampe.
    »Hast du es schon gehört, Hannah?«
    »Was gibt es? Warum kommst du jetzt schon vom Kegeln zurück?«
    »Der kleine Jean …«
    »Was ist mit ihm? Haben sie ihn gefunden?«
    »Ja. Aber er lebt nicht mehr.«
    Frau Waldhoffs Händen entglitt die Schere. »Tot?«
    »Ja. Er liegt in der Scheune. Sie sagen, er sei erstochen worden.«
    »Der arme Junge.«
    Eine Weile schwiegen sie. Dann fragte Frau Waldhoff: »Mehr weiß man nicht?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Komm, wir wollen einmal nachfragen.«
    Sie traten vor das Haus. Gerade bog Franz Nigge in den Pfortenweg ein, der zu Schyffers’ Scheune führte.
    »Da soll er liegen, Waldhoff«, sagte er. »Komm, wir sehen uns die Sache an.«
    Waldhoff wollte Franz Nigge in den Pfortenweg folgen, doch seine Frau hielt ihn zurück. Waldhoff zögerte, blieb stehen und sagte: »Geh du nur. Das ist nichts für mich.«
    Aus dem gegenüberliegenden Haus kamen Dreigens.
    »Sie haben ihm die Kehle durchgeschnitten«, berichtete Frau Dreigens. Sigi bemerkte die roten Flecken in ihrem Gesicht, die sich immer zeigten, wenn sie sich aufregte.
    Eine plötzliche Schwäche überfiel Frau Waldhoff. Sie musste sich gegen die Hauswand lehnen. »Den Hals?«, stammelte sie.
    »Was ist mit dir?« Waldhoff befürchtete, dass der Kopfschmerz sie wieder überfiel. »Du hättest heute im Bett bleiben sollen.«
    Frau Waldhoff flüsterte: »Hoffentlich hängen sie uns das nicht an.«
    Da wusste Waldhoff, was sie meinte. Es traf ihn wie ein Keulenschlag. Mit einem Male fiel ihm die Geschichte seines Schwiegervaters ein, der des Kindesmordes bezichtigt worden war. Obwohl er zur Zeit der Tat gar nicht am
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