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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand
Autoren: Sabine Friedrich
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Füße, seine Beine zurück. Begann erneut in seinem Körper zu zirkulieren, jemand hielt seinen Arm fest. Jemand stach eine Nadel in seinen Arm, eine Infusion wurde gelegt, jemand gab ihm eine Spritze, vielleicht gegen den Schmerz. Der kurz darauf ein wenig nachließ, da fiel es ihm ein: Er hatte das Handy aus einem leeren Auto geholt. Der Junge war nicht mehr dagewesen. Der Junge und das Baby waren weg.

I
    Er fuhr in einem Mietwagen zurück zum Cape. Fuhr dieselbe Strecke wie vor zwei Tagen: Vorsichtshalber hatten sie ihn gestern noch in der Klinik behalten, Wie geht es Ihnen jetzt, Mr. Brauer?
    Danke, gut. Dennoch war er dankbar für Speed control, für das Automatikgetriebe des Mietwagens, das es unnötig machte, ständig seine schmerzenden Füße zu strapazieren, seinen eigenen Wagen hatte die Polizei vorübergehend beschlagnahmt. Gabriel Phillips’ Wagen. Den Robert in Gabriels Auftrag gekauft hatte, um während der Arbeiten an dem Haus auf Cape Cod mobil zu sein, wonach suchte die Polizei? Nach Fingerabdrücken des Jungen auf dem Armaturenbrett vielleicht. Nach Fusseln von seiner Hose auf den Polstern des Beifahrersitzes,
    Ist das wirklich alles, was Sie wissen, Mr. Brauer? Bitte denken Sie nach, es handelt sich schließlich um ein Gewaltverbrechen,
    Die Fremde war zusammengeschlagen worden, mit einem stumpfen Gegenstand. Einem Baseballschläger wahrscheinlich: Das hatte der junge indische oder pakistanische Arzt zu Robert gesagt,
    Sie müssen sie unmittelbar danach gefunden haben, Mr. Brauer. Sie kann nicht viel länger als eine Viertelstunde im Schnee gelegen haben, sonst wäre sie jetzt nicht mehr am Leben,
    Man hatte eine Vene, eine Arterie in ihrer Leiste punktiert. Arteriovenöser Bypass, ihr eisiges Blut floß in eine Maschine hinein, strömte erwärmt in ihren Körper zurück, der Arzt hatte versucht, es Robert zu erklären: Ein extrem unterkühlter Mensch müsse von innen nach außen erwärmt werden. Ginge man umgekehrt vor, würde das stockende kalte Blut an der Peripherie des Körpers in Bewegung geraten, sich in das relativ wärmere Zentrum des Körpers ergießen, die Kerntemperatur noch weiter senken und den Kranken umbringen: der also erfrieren würde an der Erwärmung, Robert war erschüttert. Er begriff nun immerhin, warum sie ihn mit heißem Wasser infundiert hatten: um seine Kerntemperatur zu erhöhen. Um ihn innerlich aufzutauen, danach hatte er geschlafen.
    Hatte den Sturm verschlafen, zu dem sich der sanfte Schneefall im Laufe der Nacht entwickelt hatte, Robert beobachtete den Straßenrand, Waldrand, während er fuhr: Wo war die Kurve, in der der Junge gestanden hatte? Er war ganz sicher, daß er die Stelle trotz der frischgefallenen Schneemassen wiedererkennen würde. Als er aus den Bergen herunterkam, wußte er, daß er vorbeigefahren war.
    Einen idiotischen Moment lang erwog er zu wenden, fuhr dann aber doch weiter nach Süden, aufs Meer zu, hinter Boston begann es zu regnen. Eisregen, erst jetzt fiel ihm Julia ein. Die ihn seit zwei Tagen im Gebirge erwartete: Wild Mountain Lodge, wo war die Telefonnummer? Aber sein Handy war ohnehin leer. Vor ihm an der Straße immer wieder die Schilder, Food Exit Gas Exit, er hatte keine Lust anzuhalten, zu telefonieren. Was bedeuteten ein paar Stunden mehr oder weniger, nachdem er sie zwei Tage lang hatte warten lassen? Und sie war janicht allein. Sie war mit Freunden dort oben, im Winterurlaub, sie hatte keinerlei Rechte mehr auf ihn.
    Hatte nie Rechte gehabt, hatte das auch gewußt oder hätte es wissen müssen, er würde sie später anrufen, von Gabriel Phillips’ Haus auf Cape Cod. An der Buzzard’s Bay hörte der Regen auf. Wolken jagten ihm flach entgegen, als er den Kanal überquerte, auf der anderen Seite der Sagamore Bridge brach die Sonne durch. Es war Spätnachmittag. Er nahm die US-6, die jetzt Ende Februar so gut wie leer war. Durchpflügte das immergrüne Meer der Pitchpines, dessen Wellenzungen sich schließlich in der Salzmarsch, den hohen Dünen und Sümpfen des Äußeren Kaps verliefen, als er hinter Truro auf die 6a wechselte, begann es zu dämmern. Jetzt sah er die See. Die Bucht von Cape Cod, das wintergraue abendgraue Wasser leckte über den Sand vor den zugenagelten Strandhütten, Gabriel Phillips’ Haus lag am Rande von Provincetown: ein anthrazitschwarz verwitterter Schindelbau. Stand auf Pfählen, die mitten im Sand von Provincetown Harbour staken, er stieß das Tor im Zaun auf, ging über das untere Sonnendeck. Betrat
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