Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand
Autoren: Sabine Friedrich
Vom Netzwerk:
das Haus von der dem Meer zugewandten Seite, er schloß die Tür, ohne Licht anzuschalten.
    Julia war nicht da. Er telefonierte mit der Rezeption, hinterließ eine Nachricht: Robert Brauer würde nicht kommen. Saß dann eine Weile im Sessel vor dem kalten Kamin, im Dunklen, blickte über die langgestreckte Bucht des Provincetown Harbour, den Hörer noch in der Hand, drüben auf der anderen Seite des Wassers flammten bereits die Lichter auf. Er rechnete den Zeitunterschied USA-Ostküste-München aus, umständlich, auf die Minutegenau. Wählte noch immer nicht, vielleicht war sie gar nicht zu Hause. Er vermied zu denken, zu fühlen: Was es bedeuten konnte, wenn sie nicht zu Hause wäre, wählte endlich doch. Lauschte dem Klingeln, vornübergebeugt im Sessel, lauschte dem Rauschen der Entfernung zwischen ihnen,
    »Robert? Robert, endlich!«
    Die geliebte Stimme. So nah, als klänge sie aus dem Nebenhaus herüber. Aber jedes ihrer Worte mußte die Weite des Atlantiks durchqueren,
    »Warum hast du mich denn nicht angerufen, Robert, du hättest doch wenigstens anrufen können«,
    Kam aus der rieselnden Stille der Tiefsee. Seesterne umschlangen Leitungen, die zwischen Algen vibrierten. Leitungen schwangen, Seepferdchen trudelten auf diesen Schwingungen hin durch die Dunkelheit,
    »Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich vermisse dich«,
    Herzmuscheln begannen stürmisch zu klopfen. Seeanemonen wiegten sich im Rauch dieser Stimme, Finnwale schaukelten glücklich zwischen gedehnten Vokalen,
    »Was treibst du eigentlich in Amerika, Robert! Gabriel Phillips und sein verdammtes Haus, es muß doch längst fertig sein, dieses Haus, du hast wirklich genug für Gabriel Phillips getan«,
    Aber das stimmte ja nicht. Gabriel hatte etwas für ihn tun wollen,
    »Natalie«, sagte er.
    Jetzt, wenn er selbst sprach, hörte er die Entfernung deutlich. Hörte einen Widerhall seiner eigenen Stimme in der Leitung, der ihn irritierte, sprach dennoch weiter. Sprach gegen sich selber an, seine eigenen Worte,
    »Was denn um Himmels willen für ein Unfall, Robert?«
    Sprach gegen das metallene Echo seiner Worte an, dem zu lauschen er gezwungen war: als müßte ein anderer ihr seine Erklärungen wiederholen, damit sie verstand,
    »Gut, Robert, du hast sie gerettet. Du hast getan, was du konntest, das reicht dann ja wohl! Was geht dich denn diese Frau jetzt noch an«,
    Die inmitten blitzender, kritzelnder, summender Maschinen lag, vollkommen still. Um den Kopf ein weißer Verband. An ihrem verletzten Bein das Gestell des Fixateur externe: Die Ärzte hatten Nägel durch ihre Haut in die Knochentrümmer getrieben, die Nägel mit Stäben verbunden, hatten ihre Arterien neu konstruiert: wie Rohre, Leitungen eines zerstörten Hauses, sie war noch immer bewußtlos. Schädelhirntrauma, wer war sie? Die Eisprinzessin. So nannten die Ärzte sie, die Polizei, sie hatte nichts bei sich gehabt. Keine Papiere, nichts, sie war groß. Kräftig, ohne dick zu sein, gelbliche Haut: Blässe unter tiefer Sonnenbräune. Dunkles langes Haar, dort, wo es nicht abrasiert worden war,
    »Aber, Robert, das sind doch alles Ausreden. Das sind doch nichts als Lügen, was geht sie dich denn an, diese Frau? Was geht dich Gabriels Wagen an, soll die Polizei ihn doch behalten, ich bin hier allein!«
    Natalie, die im Zimmer auf- und abgeht, allein,
    »Ich bin hier allein, und ich brauche dich, das weißt du ganz genau! Du weißt ganz genau, daß ich dich brauche«,
    Die die Fäuste ballt. Die die Hände ringt, bis die Gelenke knacken, die den Telefonstecker zieht, ihn wieder in die Steckdose schiebt. Die einen Moment lang Lider und Zähne zusammenpreßt, in einen Sessel fällt. Wiederaufspringt, sich hinsetzt. Aufspringt und die Blumen gießt und sich wieder hinsetzt, den Fernseher anschaltet und sich wieder hinsetzt, aufspringt und ihn abschaltet, Ich brauche dich, Robert, bitte komm mit!
    In eine der Kneipen. Wo sie den anderen zu treffen hoffte. Wo sie neben Robert an einem der Tische an der Bar stand, plappernd mit unruhigen Augen, bis die laute, immer zu laute Stimme des anderen von der Tür her ertönte und sie verstummte. Sie zog die Schultern eine Winzigkeit hoch. Der Nacken verkrampft wie in Erwartung eines Schlags, eines Angriffs. Der aber nicht kam: Der andere ging hinter ihr vorbei. Natalie vor sich hinstarrend auf den aschestaubigen Tisch mit den klebrigen Kringeln von Gläsern, ohne etwas zu sehen, glühend vor Anspannung mit leerem Gesicht, konzentriert auf nichts als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher