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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand
Autoren: Sabine Friedrich
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auf diese Stimme: Der andere sprach mit der Kellnerin. Beachtete Natalie nicht, die nun wieder zu reden begann: zu laut, immer um ein winziges bißchen zu laut, sie wußte genau, was sie tat, Robert konnte es sehen. Er sah alles: ihre Starrheit, die zu großen, unangemessenen Gesten, der andere zog nicht einmal seinen Mantel aus. Drehte eine Runde, ging dann wieder zur Tür und hinaus, Natalie blieb zurück. Gestrandet. Allein,
    »Das weißt du ganz genau, du weißt, ich bin ganz allein, ach hör doch endlich auf, mich anzulügen, Robert«,
    Dann Tränen.
    Als sie aufgehängt hatte, begann er zu trinken. Versuchte, sich einzureden, er werde den Schmerz nicht mehr spüren, wenn er betrunken war: den Schmerz in den Füßen, den Händen, das widerliche juckend-peinvolle Kribbeln der Erfrierungen, hockte weiter im Sessel vor dem leerenKamin und starrte die Lichter von Provincetown an, er trank Whisky. Scotch, wie ein Ami, sah Natalie vor sich, wie er sie kennengelernt hatte: auf einem Fest, vor drei Jahren. In der Küche bei gemeinsamen Freunden, sie hatte am Kühlschrank gelehnt, dünn bis zur Zerbrechlichkeit. Hatte ein Glas in der Hand gehabt, auf Vamp gemacht: mit knallrotem Mund, Lacklederstiefeln, das feine blonde Haar hing ihr ins Gesicht in fedrigen Strähnen. Als man zu Tische schritt, gab es Gewitzel: Wollte Natalie auf den Telefonbüchern sitzen? Sie war winzig, allenfalls einssechzig groß. A-K, L-Z: Die gesamte Einwohnerschaft des Großraumes München, um Natalie Popp auf eine Höhe mit der Tischkante zu bekommen, sie grinste: Nein danke. Da setz ich mich lieber einem Kerl auf den Schoß, sie sah Robert an. Dem da zum Beispiel. Der schaut, als hätte er mich in Null Komma nichts in den Himmel gestemmt,
    Alle lachten. Auch er. Er spürte ihren Blick im Gesicht. Im Nacken, wo sich die Härchen kribbelnd sträubten, eine heiße Welle schoß ihm das Rückgrat hinunter, vom Nabel zwischen die Beine, sie war unmöglich, aber mit Absicht, das wollte er: sie auf dem Schoß haben. Sehnte sich sofort und schmerzhaft danach, sie möchte ihren Scherz ernst gemeint haben, als sie ein paar Tage später tatsächlich zu ihm in die Wohnung kam, war dies das erste, was er tat: zog sie auf seinen Schoß, mit geschlossenen Augen, atemlos vor Sehnsucht.
    Sie wohnte von diesem Tag an bei ihm. Ihre eigene Wohnung, ein Geschenk ihres Vaters, leerte sich rasch, sie räumte ihre Sachen in seine Schränke. Wenn er abends nach Hause kam, empfing sie ihn als Bajadere, in Schleier gewickelt. Als Nonne im schwarzen Umhang, einschwarzes Tuch tief in die Stirn gezogen, als Vogel: das Gesicht wild bemalt, auf dem Kopf eine rote Federperücke aus einem aufgelösten Theaterfundus, sie sprudelte über, lachend: Stell dir vor, wo ich das gefunden habe, sie hängte sich an seinen Hals. Sie hatte keinen Beruf: Sie war Natalie Popp. Erbin der Maschinenfabrik Popp GmbH & Co. KG, sie konnte tun, was sie wollte, sie haßte es, wenn er so etwas sagte. Ich bin Studentin! Ich bin nicht irgendeine blöde reiche Kuh, ich studiere, verdammt noch mal, Robert, du klingst wie mein Vater!
    Sie war Ende Zwanzig, fünfzehn Jahre jünger als er. Manchmal ging sie tatsächlich in die Uni. Wo sie Französisch und Spanisch belegt hatte, manchmal kochte sie. Kaufte Kochbücher, um für ihn zu kochen: thailändisch, indisch, brasilianisch, manches war wunderbar. Duftend, sanft, scharf, so daß er sich jung fühlte, experimentierfreudig, manches war völlig mißlungen. War versalzen, ungenießbar verbrannt, auf dem Herd vergessen, weil sie aus dem Haus gerannt war, um noch Champagner zu besorgen. Weil sie meditiert hatte auf ihrem rosa Schemelchen, zu versunken, um die Rauchschwaden aus der Küche zu bemerken, sie redete davon, nach Berlin zu ziehen. Oder mit ihm durch Asien zu fahren, durch Afrika, Südamerika, am liebsten wollte sie Deutschland für immer verlassen: Das sagte sie. Schilderte ihm dann Thailand, Indonesien. Wo sie niemals gewesen war, er konnte den Wind riechen, der aus den Palmwäldern herüberwehte. Konnte die Sonne, das Salzwasser fremder Meere in ihrem Haar schmecken, er mußte nirgendwo hinfahren, mit Natalie Popp. Er verstand nicht, daß sie sich mit ihm nicht langweilte. Sie forderte ihn heraus. Wollte in der Küche geliebt werden, im Aufzug eines Geschäftshauses,nächtelang zog sie durch Bars, durch Kneipen, manchmal ging er mit. Hatte aber schließlich auch noch seinen Job. Konnte sich nicht jede Nacht um die Ohren schlagen: trug immerhin
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