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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand
Autoren: Sabine Friedrich
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Verantwortung für die Jobs von fünfzehn Angestellten, Mitarbeitern, für Projekte in Millionenhöhe, manchmal kam ihr Vater zu Besuch.
    Er kam tagsüber, wenn Robert nicht da war, Robert war es recht so. Er hatte Natalies Vater bloß einmal getroffen.
    Hatte sich von ihm zum Essen einladen lassen müssen in irgendein gediegenes Lokal am Stadtrand, Dr. Popp stand ihm im Alter näher als Natalie. Er hatte sich diskret nach Roberts privaten, beruflichen Verhältnissen erkundigt. Hatte unverhältnismäßig viel Platz eingenommen am Tisch: So schien es jedenfalls Robert, zwischendurch hatte er mit der Bedienung gescherzt, er war durchaus leutselig. War jovial, er wußte natürlich am besten, was gut war für Natalie, selbstverständlich war Natalie finanziell abgesichert! Natalie Popp konnte tun, was sie wollte: Dafür hatte ihr Vater gesorgt, leider hatte Natalie sich immer mit den falschen Leuten umgeben. Sie hatte einfach kein Händchen bei der Wahl ihrer Männer: Die Typen, die Natalie schon angeschleppt hatte! Kurdische Asylanten, österreichische Sennjungen. Berliner Diskjockeys mit bonbonbunten Haaren, Dr. Popp schüttelte den Kopf: Natalie brauchte Führung. Brauchte jemanden, der ihr eine Richtung gab, Natalie hatte den ganzen Abend sehr aufrecht gesessen.
    Hatte geschwiegen, ihren Vater angesehen: der sie nicht beachtete, solange er mit Robert über sie sprach, die Gegenwart ihres Vaters hatte sie Robert sehr fremd werdenlassen. Zwischendurch hatte er an seinen eigenen Vater gedacht.
    An den freundlichen stillen Mann, der vor Jahren an Krebs gestorben war, dann war die Rechnung gekommen. Dr. Popp hatte sie sich quittieren lassen. Hatte Robert beim Abschied mehrmals auf die Schulter geklopft: Robert hatte den Eignungstest bestanden. Auf der Heimfahrt hatte Robert versucht, Natalie zu beruhigen: Es war doch alles ganz gut gelaufen, es war doch normal, daß einem Vater das Wohlergehen der einzigen Tochter am Herzen lag, Natalie hatte ihn angeschrien: Du verstehst rein gar nichts! Auf wessen Seite stehst du überhaupt, Robert,
    Er hatte vorsichtshalber geschwiegen. Natalie war ohnehin vollkommen außer sich gewesen.
    War nach jedem Besuch ihres Vaters erneut außer sich. War, nach dem unglaublichen ersten Jahr, immer häufiger außer sich, blieb immer häufiger den ganzen Tag im Morgenmantel, wanderte ruhelos durch die Wohnung, sie wollte Schriftstellerin werden, sagte sie zu ihm, Dichterin, sie schrieb irgend etwas, das sie ihm nicht zeigte, dann wollte sie malen. Heulte über ihre Talentlosigkeit, sie spielte recht gut Klavier. Spielte Chopin, verspielte sich, brach mittendrin ab, irgendwo hatte sie Kokain her, Amphetamine. Rannte dann nächtelang durch die Wohnung mit heißem Kopf und eisigen Fingern, die Züge gefroren, während ihr der Schweiß an den Seiten ihres Körpers herablief und den dünnen Stoff ihres Morgenmantels transparent machte, rannte durch eine übererregte todmüde Hölle,
    Ich bin zu nichts gut! Ich grüble mir das Hirn blutig und bin zu nichts gut, aber das ist egal, es ist ja egal, obich was mit meinem Leben anfange oder nicht, was fällt denn schon ins Gewicht vor seinen Millionen. Was fällt überhaupt ins Gewicht,
    Robert stand dabei. Sah dem Ausbruch dieses Kindes zu, hilflos: ein Mann in den Vierzigern, etwas zu schwer. Mit Händen, die links und rechts an ihm herunterhingen, manchmal flog ihr Glas an die Wand. Manchmal riß sie ein Buch aus dem Regal: Malcolm Lowry. Der Tequila-Malcolm,
    Soll ich dir davon erzählen, wie ich das Zimmer in dem Hotel betrat, in dem wir einst glücklich waren, aber der Lärm des Schlachtens unten in der Küche trieb mich wieder hinaus in die gleißende Helle der Straßen, und später in jener Nacht saß ein Geier in meinem Waschbecken,
    Sie schleuderte ihm den Text eines anderen entgegen wie einen Vorwurf. Sah ihn an, triumphierend: Und, was sagst du dazu, Robert Brauer? Kannst du dir so etwas überhaupt vorstellen? Du mit deiner Scheißselbstbeherrschung, du bist ja halb tot! Kannst du dir überhaupt vorstellen, daß man verzweifelt sein kann, und dann schreibt man so was,
    Aber nicht sie war es, die dies geschrieben hatte. Das Buch knallte auf den Boden, durch Tränenstürme hindurch tastete sie sich zu einem Sessel. Lag schluchzend im Sessel, wand sich. Ertrug unbegreifliche Qualen, er stand mitten im Zimmer, sein Glas in der Hand. Manchmal rauchte er. Manchmal rauchte er nicht: weil das Schnappen seines Feuerzeugs einen neuen Sturm auslösen
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