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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein
Autoren: Margaret Allan
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Welt befand.
    Sie blinzelte und leckte sich die Lippen. Ihr Tun bewirkte, daß plötzlich sanfte, beschwichtigende Laute erklangen: »Ssscht, Mutter, ganz ruhig.«
    Etwas Kühles und Nasses netzte ihre ausgetrockneten Lippen, und gierig saugte sie an dem mit Wasser getränkten Moos.
    Als ihr Blick sich wieder schärfte, konnte sie Einzelheiten ausmachen: ein Schattengesicht, das über ihr aufragte, gleißendes Sonnenlicht, eine überhängende Wand aus bläulichem Fels.
    Sie seufzte und ließ sich zurücksinken, war wieder bei vollem Bewußtsein. Sie befand sich also in Sicherheit, in ihrer Höhle in den Klippen über dem Fluß, etwa eine halbe Meile von der Schlucht entfernt, in der die Jagd stattgefunden hatte. Als sie den Kopf nur leicht bewegte, überfiel ein lange anhaltender, wellenförmiger Schmerz jeden Teil ihres Körpers. Versuchsweise mühte sie sich, ihren rechten Arm zu heben. Die Anstrengung löste weitere Schmerzen aus, und die Stimme ließ sich erneut vernehmen. »Lieg still, Mutter.«
    Sie wartete, bis die weißen, schmerzhaften Blitze aus ihren Augenwinkeln krochen. Nun wurde das Gesicht über ihr deutlich: Es war das von She-Ya, dem jungen Mann, den sie seit fast zwei Jahren unterwies, auf daß er ihr Nachfolger werde.
    »She-Ya?« hauchte sie.
    Seine Hand streichelte über ihre Stirn. Mitfühlend lächelte er auf sie hinunter, und seine sonnengebräunten Züge drückten Liebe und Besorgnis aus. »Ich habe dir doch gesagt, daß ich diesmal den Geisterpfahl hätte besteigen sollen, Mutter.«
    Sie verspürte einen Anflug von Ärger, wischte ihn jedoch beiseite. Immer war sie es gewesen, die auf den Geisterpfahl gestiegen war, aber She-Ya war jung und ungestüm. Nach zwei Jahren der Unterweisung war er an einem Punkt angelangt, den alle in seinem Alter am Ende erreichten - der Punkt, an dem sie nach Dingen griffen, die sie zu verstehen meinten, doch noch nicht zu fassen vermochten.
    Oder war sie es, die nur glaubte, die Wahrheit zu verstehen? She-Ya hatte mit ihr geträumt. Er war noch jung, seine Macht jedoch schon groß. In manchen Dingen hatte er sie bereits überflügelt - zum Beispiel, was sein Wissen über die Geister betraf, die in den Pflanzen wohnten. Sie hatte ihn alles gelehrt, was sie davon wußte, doch er war noch weiter gekommen.
    Wie er jetzt gerade bewies.
    »Hier«, sagte er sanft, »trink das.«
    Er schmiegte seine Hand um ihren Hinterkopf und hob ihn sachte an. Sie ignorierte den plötzlichen, schmerzhaften Stich und konzentrierte sich ganz darauf, aus der gehärteten Tonschale zu trinken, die She-Ya ihr an die Lippen hielt. Das dunkle Gebräu darin war warm und bitter, doch es gelang ihr, den größten Teil davon ihre Kehle hinabzuzwingen. Nach einer kleinen Weile breitete sich eine angenehme, milde Wärme in ihrem Körper aus, und der Schmerz verschwand.
    Nun, da sie von ihrer Pein befreit war - auch in ihre Gedanken waren Ruhe und Klarheit eingekehrt -, schenkte sie den Dingen um sich herum mehr Aufmerksamkeit. Von jenseits der Höhlenöffnung erklang unvermindert rhythmischer Gesang. »Be -Dag?« fragte sie.
    She-Ya nickte. Ga-Ya spannte ihre Muskeln an und versuchte, sich aufzusetzen, doch die Hand, die der Jüngere ihr auf die Brust legte, hielt sie am Boden.
    »Be-Dag«, sagte sie. »Ich werde ihn zur Mutter singen müssen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich werde ihn heimsingen, Ga -Ya. Das Volk hat schon den Scheiterhaufen errichtet und seine Gaben dargebracht.« Er warf einen flüchtigen Blick auf ihre Beine. »Du hast großes Glück gehabt, Mutter. Der tote Leib des jungen Mammuts hat deinen Sturz abgefangen, sonst wärst du jetzt nicht mehr am Leben.« Er lächelte, setzte sich dann auf, die schwarzen Augen wieder ganz ernst.
    »So aber ist nur dein linkes Bein wie ein trockener Zweig gebrochen. Du wirst in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein zu tanzen, wirst es vielleicht nie wieder können. Ich habe das Bein festgebunden, habe Umschläge mit Pflanzen, in denen heilende Geister wohnen, auf deine Verletzungen gelegt, aber, Ga-Ya - Mutter - du bist sehr alt.«
    Sie seufzte. Es stimmte. Sie war sehr alt. Vielleicht war ihr vorübergehender Anflug von Ärger über She-Ya nichts als das gewesen: der Widerwille der Alten, die Fäden ihres Lebens loszulassen, weiterzureichen, was weitergereicht werden mußte.
    She-Ya griff hinter sich, beugte sich dann vor und legte zwei Gegenstände auf ihre Brust, die sie so leicht ergreifen konnte. »Als du gestürzt bist, hat man mich
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