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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran
Autoren: Vanessa Giese
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    Tach!
    Als ich oben ankomme, bin ich außer Atem. Herr Böhm auch.
    Mit beherztem Schwung schließt er die Wohnungstür zu « 2 Zimmer, Küche, Bad, 45 qm» auf und schnauft: «Dat is dann die Wohnung. Mit Küche, wie inne Beschreibung drinnesteht. Kabelfernsehen hamwa. Warmwasser is mit Gass. Heizung is Nachtspeicher, abba gewöhnze dich dran.» Er saugt rasselnd Luft ein.
    Der Aufstieg war beschwerlich, das Treppenhaus muffig: Rauputz, braun gesprenkelte Stufen, der träge Duft von köchelndem Kohl kriecht durch die Etagen. Im zweiten Stock: ein Drachenbaum, der sich schwermütig gegen den Putz lehnt, die Blätter braun, die Blumenerde weiß. Im dritten Stock: eine Fußmatte mit dem Aufdruck «Woanders is auch scheiße». Durch Glasbausteine sickert trübes Junilicht. Ein Riss zieht sich durch die Wand, notdürftig zugespachtelt mit Gips.
    Hier oben, in der vierten Etage, gibt es nur zwei Türen: An der rechten hängt ein Kranz aus Plastikblumen, lila und rosa, zerrupft und staubbedeckt. In seiner Mitte baumelt ein Holzherz mit der Inschrift «Hier wohnen Gabi und Rainer». Die Tür gegenüber hat Herr Böhm soeben aufgeschlossen, sie ist undekoriert, das Klingelschild abgeknibbelt.
    Ich trete in einen Flur mit hellem Laminat. Es riecht nach Staub und kalter Heizung. Links und rechts des Eingangs geht jeweils ein Zimmer ab, die Türen stehen offen. Geradeaus ist das Bad, eine fensterlose Höhle in Brauntönen, mit Duschvorhang und einem plattgetretenen Vorleger in Muschelform.
    «Geh ruhich durch», sagt Herr Böhm. Er hat aufgehört zu schnaufen, transpiriert nun heißen Dampf. «Guck dir allet an», sagt er und wischt sich Schweiß von seiner hohen, faltigen Stirn. «Dat ist ’ne Wohnung wie gemacht für ’ne junge Frau wie dich.»
    Ich lehne mich gegen den Türrahmen zum Bad und beuge mich leicht hinein. Der Toilettensitz ist durchsichtig mit eingearbeiteten beigen Muscheln, am Spiegel über dem Waschbecken klebt eine Window-Color-Muschel; Muscheln sind das beherrschende Thema des Raums. Ein ringförmiger goldener Handtuchhalter, an dem sich, wären wir bei
Derrick
, jede Unternehmergattin sofort reflexhaft erhängt hätte, ziert verwaist die Wand neben der Badewanne.
    «Is nich mehr dat Neuste, aber is noch top in Schuss», sagt Böhm, als könne er meine Gedanken lesen. «Die Toilettenschüssel und die Brille sind frisch ausm Baumarkt. Damit du nich auf watt sitzen musst, wo schon andere vor dir …» – er schwingt seinen angewinkelten Arm durch die Luft und tut so, als blase er Tuba. In seinem Ensemble aus Cordhose, Hemd und Hosenträgern und mit seinen grauen, leicht angeschwitzten Haaren bedient er auf beeindruckende Weise meine Vorstellung eines Fensterrentners.
    Rechts vom Bad geht es ins Schlafzimmer. Unter einer Dachschräge schmiegen sich Einbauschränke an die Wand. Es ist Platz für ein Bett und eine Kommode. «Dat is dat Schlafzimmer», sagt Böhm unnötigerweise, «darf ich mal?» Er zwängt sich an mir vorbei durch den Türrahmen, geht zu dem Velux-Fenster über den Einbauschränken und öffnet es. «Von hier aus kannze über den ganzen Dortmunder Süden bis nach Schwerte gucken. Und da hinten», er deutet mit dem Arm über die Fensterbrüstung, «kommt bald ’n See hin. Dann fühlste dich hier wie anne Coppa Cabana.»
    Ich trete näher, sehe allerdings nichts als Häuserdächer. «Da kommt ein See hin?», frage ich mehr aus Höflichkeit als aus Interesse. Denn ob nun mit oder ohne See: Ruhrgebiet bleibt Ruhrgebiet, die Binnenalster ist woanders.
    «Jawoll», sagt Böhm und wischt sich mit einem großen Stofftaschentuch kleine Schweißperlen von der Stirn. «Dat war mal die Herrmannshütte. Hoesch – bis vor ’n paar Jahren. Dann ist der Chinese gekommen, hat unsern Hochofen abgebaut, und getz wird ’n Loch gegraben und Wasser reingelassen. Von wegen Naherholung und so. Aber baden darfze nich, dat steht schon fest, nur gucken und flanieren. Wie Graf Koks. Wegen Schwermetalle. Die ham dat zwar allet ausgebaggert, aber so tief konntense gar nich graben, als dat se dat allet auße Erde gekricht hätten.»
    Ein Quecksilbersee also, wie schön. Quecksilbersee ist vielleicht wie Silbersee, und im Silbersee liegt ein Schatz. Herr Böhm sieht mir verschwörerisch in die Augen. «Andere ham ja wegen dem See schon die Miete erhöht. Weil hier getz allet ganz schnieke wird. Aber ich bin ’n Ehrlichen. Ich weiß, wie kleine Leute malochen müssen, damit se ’n Dach überm
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