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Die Maechtigen

Titel: Die Maechtigen
Autoren: Brad Meltzer
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Prolog
    Der Raum war für Geheimnisse geschaffen. Er wusste es.
    Für große Geheimnisse.
    Die Watergate-Ordner wurden in einem solchen Raum geöffnet. Und auch die ersten Berichte über den 11. September.
    Ihm war klar, dass dieser Raum, den man gelegentlich »die Gruft« oder »die Zelle« nannte, Geheimnisse der Präsidenten verbarg, nationale Geheimnisse und Kiefernkisten-Geheimnisse, Geheimnisse, die in Särgen versteckt waren.
    Der Archivar stand mit seiner schwarzen, verkratzten Lesebrille in der hinteren Ecke des kleinen, in schlichtem Beige gehaltenen Raums, wiegte sich ein wenig vor und zurück und schnalzte mit der Zunge. Er wusste auch, dass das Allerwichtigste in diesem Raum nicht irgendwelche Verschlusssachen oder streng geheimen Dokumente waren, sondern es war der Mann mit den rosigen Wangen, der alleine an dem einzigen, langen Tisch in der Mitte des Raumes saß.
    Ihm war bewusst, dass man den Mann mit den rosigen Wangen nicht ansprechen durfte.
    Er durfte ihn nicht stören.
    Er sollte nur hier stehen und aufpassen. Wie ein Babysitter.
    Es war wirklich absurd.
    Aber es war sein Job.
    Seit fast einer Stunde.
    Er war Babysitter des mächtigsten Mannes der Welt: des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
    Deswegen der gesicherte Raum.
    Dieser Raum war voller Geheimnisse, aber der Archivar mit der schwarzen Lesebrille und ihren zerkratzten Gläsern hatte nicht die geringste Ahnung, um welches dieser Geheimnisse es im Moment ging.
    Der Archivar atmete leise durch die Nase und starrte auf den Rücken des Präsidenten, dann warf er einen Blick zu dem blonden Agenten des Secret Service in der rechten Ecke.
    Die Besuche hier hatten unmittelbar nach der Wahl von Orson Wallace zum Präsidenten begonnen. Clinton joggte gerne. George W. Bush schaute sich Baseball in seinen Privaträumen des Weißen Hauses an. Obama spielte Basketball. Jeder Präsident hatte so seine Gewohnheiten, um sich zu entspannen. Präsident Orson Wallace interessierte sich für Bücher, und deshalb kam er aus dem nur wenige Straßen entfernten Weißen Haus ins Nationalarchiv. Um zu lesen.
    Das machte er jetzt schon seit Monaten. Manchmal brachte er seinen achtjährigen Sohn mit. Natürlich hätte er sich auch jedes Dokument direkt ins Oval Office schicken lassen können, aber wie jeder Präsident vor ihm verließ auch er gerne gelegentlich das Weiße Haus. So fingen diese »Lektürebesuche« an. Der Präsident begann mit Briefen von George Washington an Benedict Arnold, als Nächstes kamen die geheimen Aufzeichnungen von John F. Kennedy an die Reihe, denen schließlich das neue Objekt seiner Lesewut folgte: Abraham Lincolns handschriftliche Notizen über den Bürgerkrieg. Damals ging jedes Todesurteil der Kriegsgerichte über Lincolns Schreibtisch. Der Präsident persönlich entschied. Und offensichtlich fand Präsident Wallace etwas Beruhigendes in den seltsamen Kringeln und zittrigen Schwüngen von Lincolns Handschrift.
    »Noch vier Minuten, Sir«, sagte der blonde Agent des Secret Service aus der hinteren Ecke mit einem Räuspern.
    Präsident Wallace nickte kurz und begann, seine Sachen zusammenzusammeln, ohne den Kopf zu heben. »Kommt Ronnie mit?«
    Bei dieser Frage richtete sich der Archivar plötzlich stocksteif auf. Sein Vorgesetzter Ronald Cobb war einer der ältesten Freunde von Präsident Wallace aus ihrer Zeit an der juristischen Fakultät. Normalerweise organisierte Cobb die Besuche und besorgte die Akten, die der Präsident lesen wollte. Seit jedoch jüngst Bauchspeicheldrüsenkrebs bei ihm diagnostiziert worden war, würde Cobb eine Weile nirgendwo mehr hingehen.
    »Mr. Cobb ist bei der Chemo, Sir«, erklärte der Archivar. Seine Stimme kam ihm selbst gepresst vor.
    Wieder nickte Präsident Wallace, ohne sich umzudrehen, und klappte seinen Notizblock zu.
    Als die Seiten des Notizblocks sich wie ein Fächer schlossen, bemerkte der Archivar etwas. Er hätte schwören können, dass eine braune, fleckige Seite zwischen dem blassgelben Papier steckte, ein Brief von Lincoln.
    Der Archivar kniff die Augen zusammen und versuchte, es genauer zu erkennen. Aber von seinem Standort aus, schräg hinter der linken Schulter des Präsidenten, war das Lincoln-Dokument …
    Nein.
    Das hier war der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er würde niemals …
    Nein, sagte sich der Archivar.
    Nein. Unmöglich. Nein.
    »Bevor wir gehen, möchte ich der Suite des kleinen Vizepräsidenten noch einen kurzen Besuch abstatten«,
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