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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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beiden Mitgefangenen allein zu lassen, aber sie hielt mich fest, mit der Bemerkung, die Ärzte hätten das Recht, zugegen zu sein, während sie sich anzöge. Und dann begann die Szene, über die bisher immer nur falsch berichtet wurde. Es war ein Monolog im Plauderton, atemraubend gerade dieses lächelnden Plaudertons, dieser unerschütterlichen Ruhe wegen. Wie es bei nervösen und reizbaren Wesen häufig der Fall ist, schien diese Frau in den Zeiten ihres Glanzes geradezu überempfindlich, jetzt, da sie mit ihren aristokratischen Händen die Totengala anlegte, heiterer als sie jemals gewesen sein dürfte bei den Vorbereitungen für den Besuch eines Festes. Die arme Nonne, die, laut Massard, vor einigen Wochen in einem verärgerten Augenblick gesagt hatte: »Wir wollen sehen, ob sie vor den Gewehren sich ebenso keck gebärden wird, wie vor uns«, zitterte ergriffen und sprachlos. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie die ungewöhnliche Künstlerin an, die sich in ruhigem Rhythmus ohne Übereilung bewegte und uns mit fester Stimme ihre letzten Gedanken anvertraute. »Sie haben gesehen«, sagte Mata Hari, »diese Herren fürchteten sicher, ich würde ihnen etwas vorweinen oder vorstöhnen. Daher fühlten sie sich veranlaßt, mir Mut zuzusprechen, als man mich weckte ... Ich hatte vortrefflich geschlafen ... Einst hätte ich ihnen nicht verziehen, mich so früh geweckt zu haben ... Was ist das für ein Brauch, die Verurteilten bei Tagesgrauen hinzurichten! In Indien gibt es so etwas nicht. Dort ist der Tod eine Zeremonie, die man im Sonnenlicht feiert vor einer mit Jasmin bekränzten Menge. Es wäre mir lieber gewesen, etwa um drei Uhr hinaus nach Vincennes zu fahren, nach einem guten Frühstück ... Jedenfalls, hoffe ich, wird man mich nicht nüchtern erschießen wollen. Also, lieber Doktor, was könnte ich wohl noch nehmen?« Die arme Nonne versetzte: »Einen Cordial.« Und ich fiel ein: »Vielleicht einen Grog?« Sofort antwortete sie: »Das ist das Richtige, einen Grog!« Als ich mich anschickte, ihn zu holen, fragten die draußen ungeduldig und bleich wartenden Militärs und Beamten, wie weit die Gefangene wäre. Ich riet ihnen, sich in Geduld zu fassen, denn die Verurteilte habe sich vorgenommen, Saint-Lazare nur gewaschen, angekleidet zu verlassen, und zwar als elegante Frau. Als ich mit einer Flasche Rum und heißem Zuckerwasser wieder eintrat, fragte Mata mich: »Was für Wetter haben wir?« – »Prachtvolles Wetter.« »Dann also – fuhr sie zur Nonne gewandt fort – müssen Sie mir meinen hellen, beigefarbenen Mantel geben; ihn trug ich, als ich hier eintrat ...« Ruhig schlürfte sie ihren Grog, jedoch ohne jeden Versuch, ihre letzten Augenblicke in die Länge zu ziehen, was viele hartgesottene Verbrecher unter allerhand rührenden Vorwänden tun, wie noch ein letztes Anhörenwollen der Messe oder die Bitte um eine letzte, die Henkerszigarette, die sie dann sehr langsam rauchen. »Der Tod« – nahm sie wieder ihre Worte auf – »ist nichts, das Leben auch nicht: sterben, schlafen, träumen, wandern, alles, alles ist eitel; ganz gleich, ob uns heute oder morgen die Erfüllung wird, in unserem Bett oder bei der Rückkehr vom Spaziergang. Alles ist Täuschung.« Die Nonne, bemüht, diese Unglückliche mit Gott zu versöhnen, nannte ihr den Priester und den protestantischen Pastor des Gefängnisses. War Mata Hari Protestantin? Jedenfalls hatte sie immer dem Pastor den Vorzug gegeben. Im Grunde genommen gab es für sie aber nur eine einzige Religion, den buddhistischen Pessimismus, der, um den Schmerz zu unterdrücken, jede Tätigkeit unterdrückt und im Dasein nur Schmerzen und Gefahren sieht. Nachdem sie vor einem kleinen trüben Spiegel ihre Frisur beendet hatte, puderte sie sich Gesicht und Busen. Ihre Puderschachtel und Quaste habe ich mir aufgehoben. Als sie sah, daß die Nonne die Bänder ihrer zierlichen Schuhe schlecht zugeschnürt hatte, beugte sie sich vor, um das besser zu machen, und murmelte dabei: »Man sieht, liebe Schwester, Sie tragen an Ihren Schuhen nicht solche Nesteln ... Nichts mehr davon ... Wenn Sie wollen, können Sie jetzt den Pastor rufen ... Ich habe zwar keine große Lust ihn zu sehen, aber da diese Besuche zu seinen Pflichten gehören, mag er kommen!« In diesem Augenblick klopfte der Major, der als erster sie geweckt hatte, an die Tür und rief: »Sie müssen sich beeilen!« Mata lächelte geringschätzig, fuhr mit ihrer Toilette fort und sagte: »Sie können eintreten, ich
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