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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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unergründlichen Augen, in deren Tiefe so viele Herzen versanken, verdienten wohl auch die Bewunderung, die man ihnen zollte. Sie selbst sprach nie von ihren physischen Reizen, was betont werden muß, und war stolzer auf ihren Geist als auf ihr Gesicht. Daher mußte ich über die guten Schwestern des Gefängnisses, die ihr zart ihre Koketterie vorwarfen, leise lächeln. Sie war wahrhaftig minder kokett als die Straßendirnen, die in den großen Schlafsälen von Saint-Lazare untergebracht sind. Nur einmal, am Tage der Hinrichtung ...
    Dr. Bralez unterbricht sich plötzlich, als ob diese letzten Worte schmerzliche Erinnerungen in seinem Gedächtnis wachriefen.
    Und ich frage ihn:
    – Erinnern Sie sich eines Kapitels im Buche Massards? Der Titel lautet:
Der Vorabend des letzten Tages.
    – Nein, antwortet er, ich erinnere mich nicht daran.
    – Dort läßt der gute Kommandant die Bajadere am Rande des Grabes tanzen. Wie alle Welt wußte auch sie, sagt man, daß ihr Verteidiger den Präsidenten der Republik um eine letzte dringende Audienz gebeten hatte. Hiervon hing alles ab, ihr Leben oder ihr Tod. Und da Clunet auch vierundzwanzig Stunden später noch nicht im Gefängnis erschien, ließ die Verurteilte, unruhig, bleich, von Angst gehetzt, den Nonnen, die bei ihr den Dienst versahen, nicht einen Augenblick Ruhe. »Er kommt nicht«, sagte sie, »weil er nicht den Mut hat, mir zu sagen, daß Poincaré meine Begnadigung versagt hat und man mich morgen erschießen wird.« Die Schwester Marie, eine kleine, sehr nette, energische, neugierige Schwester, die mit den Inhaftierten, wenn es sein mußte, Dialekt sprach, diese Schwester Marie, obgleich wenig zart veranlagt, dauerte die arme Frau mit dem Tod vor Augen und sie nahm sich vor, sie zu zerstreuen. »Ach, reden sie doch nicht solchen Unsinn«, rief sie. Und da sie wußte, daß die Hindu, wie man Mata nannte, in ihrer phantastischen Naivität Schmeicheleien, die auf ihre Kunst zielten, nicht widerstehen konnte, bat sie die Ärmste, für sie, für sie allein zu tanzen. Massard schreibt ausdrücklich: »Mata tanzte, dann lächelte sie und hoffte.«
    Auch Dr. Bralez lächelte.
    – Sehr leicht möglich – murmelte er – jedenfalls würde es gut zum Charakter der Heldin gepaßt haben. Am Morgen des 15. Oktober 1917, als man die Zelle 12 betrat, sie weckte und ihr ankündigte, ihre letzte Stunde sei gekommen, hätte man sie sicher unschwer zum Tanzen bewegen können. Solch ein tragisches Tagesgrauen ist allen Gefängnisärzten bald nichts Neues mehr. Aber die Wirkung bei den Verurteilten ist sehr verschieden. Die einen bleiben ganz ruhig, andere begehren auf, prahlen oder zeigen äußerste Verachtung. Die ganze Skala des Lächelns erscheint. Auf den Lippen der einen malt es Furcht und Entsetzen und gleicht der Fratze eines Skeletts, die Lippen der anderen kräuselt es zum Ausdruck schrankenlosen Stolzes. Aber was wir an diesem Herbstmorgen mit ansahen, das dürfte sich wohl in ähnlicher Lage nie wieder ereignen: es war das markerschütternde Gelächter eines Geschöpfs, das nur noch ein paar Minuten zu leben hatte. Die Szene ist tausendfältig beschrieben worden. Ich war nicht dabei. Offenbar kurz bevor sie sich abspielte, wurde ich in den Krankensaal gerufen. Aber ich habe sie mehrere Male schildern hören. Der Verteidiger war aus der Gruppe der Amtspersonen zur Gefangenen getreten, um leise mit ihr zu sprechen. Und dann brach sie in ein grauenhaftes, ganz unwahrscheinliches Gelächter aus. Alles stand da wie vom Donner gerührt. Herzzerreißendes Schluchzen hätte nicht so furchtbar wirken können. Worauf jemand sagte: »Sie ist verrückt geworden.« Aber Mata, immer noch im Morgenrock, trat auf ihn zu, um ihn eines besseren zu belehren, und schrie ihm mit ironischem Behagen ins Gesicht: »Wissen Sie, was Maître Clunet mir soeben geraten hat? Ich soll mir ganz einfach Aufschub erwirken durch Ausnützung des Paragraphen 27 irgendeines Gesetzes, was weiß ich, indem ich erkläre, ich sei schwanger ... Das ist ja zum wälzen.« Und sie lachte hemmungslos. Ich habe dieses Lachen allerdings nicht gehört. Dagegen bemerkte ich wohl die eisige Ironie auf ihren Zügen, als sie sich an die Militärpersonen und Beamten wandte, die die Zelle nicht verließen, obgleich sie fortfuhr Toilette zu machen, und ihnen die Tür wies, mit den Worten: »Gestatten Sie, meine Herren, daß ich mich ankleide ...« Wie die anderen wollte auch ich mich zurückziehen, um sie mit der Nonne und ihren
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