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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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aus: – Was liegt daran, da ich alle Freuden, die sie mir verschaffen konnten, voll genossen und mir, dank ihnen, auch darüber Rechenschaft ablegen konnte, daß alles vergänglich, flüchtig, verächtlich ist!« – Dann las ich die berühmte Parabel von der Kurtisane: »Der junge Upagupta, ein Spiegelbild heiliger Reinheit, traf morgens die schönste Bajadere im ganzen Lande, die ruhmreiche Vasavadata von Mapura; und als die Frau den jungen Mann sieht, entbrennt sie in Liebe zu ihm und sagt es; aber der junge Mann geht vorüber ohne den Kopf zu wenden. Ein paar Jahre später wurde diese Bajadere zum Tode verurteilt; der Henker trennte ihr die Beine, die Arme, die Ohren, die Nase ab und ließ sie auf dem Begräbnisplatz liegen, damit die Raben das Urteil gänzlich vollstrecken sollten. Als Upagupta davon erfuhr, ging er zum Begräbnisplatz. Die Frau sieht ihn kommen und spricht zu ihm: ›Meine Schönheit, mein Leben wolltest du nicht, aber jetzt kommst du, dich an meinen Schmerzen, meinem Sterben zu weiden.‹ Der junge Mann versetzte: ›O nein, meine Schwester, ich komme und sehe nur, wie wenig wichtig das Leben ist und wie wenig die Schönheit bedeutet.‹ Nach diesen Worten fühlte sie keine Todesangst mehr, auch keine Schmerzen darüber, hinschwinden zu müssen; und nachdem sie ernsthaft überdacht, welch unendliche Qual auf dem tiefsten Grunde der Wonne ruht, gab sie sich froh dem Nirwana hin und starb glücklich und heiter.« So war auch alles andere in diesem Buch, das wiederzufinden ich mich später vergeblich bemüht habe und das nichts enthielt, was nicht in jeder Buddhasage geschrieben steht. Auf jeder Seite murmelte eine geheimnisvolle, sanfte und klare Stimme Psalmen eines glücklichen Verzichts, eines seligen Nichtseins, einer hehren Freude das Dasein abzubrechen. Und als ich diesen Stimmen lauschte, dachte ich mir, wenn Mata Hari wirklich in diesen Grundsätzen erzogen worden wäre, könnte die vornehme Heiterkeit, die stolze Verachtung, womit sie ihre nahe bevorstehende Hinrichtung betrachtete, kaum in Erstaunen setzen. Denn wie phantastisch man auch die Phasen weiblicher Zuversicht geschildert hat, diese Frau setzte niemals die geringste Hoffnung in eine Nichtvollziehung des kriegsgerichtlichen Urteils. Man vergesse doch nicht die unversöhnliche Härte dieser Kriegszeiten.
    Dr. Bralez hat recht. Nachdem die Minister lange Zeit von schöngeistigen Ideen eingenommen waren, wurde von einer neuen Regierung, die nicht patriotischer aber energischer war, das sogenannte Schreckensregiment errichtet. Wer damals in die Hände der Militärgerichte fiel, zahlte für alle, denen während der beiden ersten Kriegsjahre der vielgerühmte Geist der Milde zugute gekommen war. Mit ihrem klaren Blick mußte Mata Hari begreifen, daß es ein Wahnsinn wäre, auf die Gnade des Staatsoberhauptes zu rechnen. Ihr Verteidiger freilich hielt sie mit Versprechen höchster Interventionen hin, wie man ein Kind in Träume wiegt. In Spanien, in Holland, in Amerika erhoben sich einige sehr mutige Stimmen zu ihren Gunsten. Aber drangen sie bis an ihr Ohr? Jedenfalls glaube ich, wie auch Dr. Bralez, daß ihre Seele gerüstet war, der Todesstrafe mit stolzem Mut zu begegnen seit jenem Tage, wo sie das furchtbare Urteil aus dem Munde von zwölf ehrlichen Soldaten vernehmen mußte.
    – Ihre Gespräche – sprach Dr. Bralez weiter – ihre interessanten Gespräche, einst ganz kosmopolitisch und mondän, wurden plötzlich sehr ernst, grübelnd, völlig orientalisch ... Sentenzen blühten auf ihren Lippen wie auf denen Sancho Pansas; aber sie waren doch ganz anderer Art. Ihre Sentenzen waren eine Frucht der hindostanischen Lektüre; sie dienten ihr in jedem Augenblick zur Befestigung ihres Vertrauens auf das Nirwana. »Von unserer Geburt an«, sagte sie und zog damit die Summe ihrer Lektüre, »sind wir ein durch eine Feder belebtes Skelett; die geringste Erschütterung kann sie zerbrechen.« Oder: »Der Wurm ist das einzige unsterbliche Wesen.« Oder gar: »Es gibt kein Leben, es gibt keinen Tod, es gibt nur Metamorphosen.« Obgleich, wie ich später erfuhr, ihre Freunde sie pedantisch nannten, weil sie immer zitierte und dauernd von dem Wunsch besessen war, die dunklen Zusammenhänge des Daseins und die Satzungen der Kunst auf buddhistische oder bramahnische Weise zu erklären, habe ich, offen gestanden, nie etwas bemerkt, was mich durch einen geschraubten Ton abgestoßen hätte. Mit der größten Gewandtheit vermischte sie Reispuder
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