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Der Augenblick der Liebe

Der Augenblick der Liebe

Titel: Der Augenblick der Liebe
Autoren: Martin Walser
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Kommen aber gehen 
     
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
I. 
     
 
 
Herr Zürn oder Herr Krall, wie hätten Sie¹s gern? So fing sie  an, so eröffnete sie. 
    Gottlieb   sagte:  In  welche  Sauce  wir  den  Daumen,  den  wir  lutschen  müssen,  vorher  tunken,  ist  egal.  Oder  nicht?  Und  sie:  Es  gibt  nichts,  wofür  man  nicht  gestraft  werden  kann.  Und er: Aber die Möglichkeiten klirren. Und sie: Wenn Sie so  wollen.  Und  er:  Ich  will.  Gottlieb  hatte  das  Gefühl,  er  sei  begeistert.  Wenn  das  Leben  auf  sich  aufmerksam  machte,  fühlte er sich als Dichter, sogar als Komponist. Er war weder  das eine noch das andere. Er war mit der  Besucherin in ein  Duett  geraten.  Sie  hätten  ihre  Sätze  gleichzeitig  sagen  können, das hätte die Wirkung nicht gemindert. 
    Anna   blieb  nichts  anderes  übrig,  als  zwischen  der  Besu cherin und Gottlieb hin und her zu schauen wie beim Tennis.  Also  schaute  sie,  nach  Gottliebs Ich  will,  die  Besucherin  an,  weil die jetzt dran war. Aber die wollte oder konnte offenbar  nicht weitermachen im Duett. 
    Dann   starrten  alle  drei  auf  die  Sonnenblume,  die  die  Be sucherin  mitgebracht  hatte,  für  die  Gottlieb  keine  Vase  ge funden  hatte,  die  er  dann  in  den  größten  Glaskrug  gestellt  und mitten auf dem Terrassentisch platziert hatte. Noch nie  hatte jemand eine Sonnenblume mitgebracht. Anna hatte die  gewaltige  Blume  entgegengenommen  und  hatte  gesagt:  Unglaublich.  Und  das  stimmte  ganz  genau.  So  eine  Pracht blume  zu  überreichen,  die  sofort  die  Szene  beherrscht,  und  nichts dazu zu sagen, das war unglaublich. Das war eigent lich die Eröffnung des Duetts gewesen. 
    Anna   schaute  die  Besucherin  an,  als  müsse  die  ihr  noch  erklären,  wie  es  überhaupt  zu  dieser  Frage,  ob  Zürn  oder  Krall,  komme.  Gottlieb  wußte,  daß  Anna,  hätte  sie  sich  äußern  können,  jetzt  gleich  noch  einmal  ihr  Lieblingswort,  ihr  Passepartoutwort,  gesagt  hätte:  Unglaublich.  Das  brauchte sie so oft, daß es auf Gottlieb überging. Und wenn  es  ihm  unwillkürlich  unterkam,  merkte  er,  daß  er  wieder  Annas Wort benutzte. Sollten Ehepaare einander im Lauf der  Zeit ähnlicher werden − was er bei sich und Anna bestritt −,  dann  dürfen  sie  auch  im  selben  Wortschatz  untergehen.  Hätte die Besucherin ihre Eröffnungsfrage eine Stunde später  gestellt,  nachdem  Anna  ihren  Kaffee  und  die  drei  oder  vier  Gläschen Calvados schon getrunken gehabt hätte, dann hätte  Anna  höchstens  noch  ein  wenig  den  Kopf  geschüttelt,  so  langsam,  daß  es  aussähe,  als  suche  sie  für  ihren  Kopf  eine  Lage, in der er bleiben könne. Jetzt aber, bei der ersten Tasse  Kaffee  und  beim  ersten  Calvados,  reagierte  sie  doch  so  neugierig, als sollte Gottlieb ihr in Gegenwart der Besucherin  etwas  erklären,  was  er  ihr  verschwiegen  habe.  Ach  nein,  doch  nicht  verschwiegen,  einfach  nicht  gesagt  hatte  er  ihr,  daß  vor  Wochen  ein  Brief  aus  North  Carolina  eingetroffen  war, geschrieben von einer Beate Gutbrod, die fragte, ob sie  kommen dürfe, es handle sich um La Mettrie. 
    La  Mettrie, das war einmal ein Thema gewesen. Eines der  vielen Themen, mit denen Gottlieb sich die Zeit vertrieb, die  er hatte, seit Anna das Geld verdiente. Er besorgte den Haus halt  und  das  Schriftliche,  Anna  den  Handel,  den  Immo bilienhandel. Als er dieser Beate Gutbrod geschrieben hatte,  sie könne, wenn sie nichts Besonderes von ihm erwarte, gern  zu einem Kaffee auf der Terrasse kommen, hatte er es nicht  für nötig gehalten, Anna zu sagen, da komme eine von einer  Uni aus North Carolina, die in Langenargen eine Großtante  besuche und ihn bei dieser Gelegenheit auch besuchen wolle,  da sie eine Doktorarbeit darüber schreibe, wie La Mettrie in  Deutschland 
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