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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum
Autoren: Birgit Schlieper
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Die Nachricht
    D as ist ein Witz, ODER ?
    Emilias Finger zittern, und sie hat Mühe, die kleinen Tasten auf dem Handy zu treffen. Sie sieht die Frage auf dem Display und löscht ihre Antwort auf die SMS ganz langsam wieder. Buchstabe für Buchstabe wird aufgefressen. Sie weiß, dass Charlotta keinen Witz gemacht hat. Der Cursor auf ihrem Handy blinkt. Was soll sie schreiben? Was soll sie antworten? Alles in ihr zieht sich zusammen. So wie man einen Turnbeutel zuzieht. Mit einem Ruck und ganz fest. Emilia legt das Handy auf den Schreibtisch und schlingt die Arme um sich. Unsichtbare Hände scheinen ihre Innereien auszuwringen. Sie geht zurück auf Charlottas Nachricht. Als wüsste sie nicht mehr ganz genau, was da steht.
    Meine Eltern schicken mich auf ein Internat. Direkt nach den Sommerferien. Ich könnte kotzen. Hilf mir. Kuss Ch.
    Â»Natürlich helfe ich dir«, sagt Emilia leise. Wie weiß sie noch nicht. Was sie weiß: Niemals kann sie Charlotta gehen lassen. Sie kennt das Leben ohne ihre beste Freundin nicht. Will es auch gar nicht kennenlernen. Warum? Und was heißt »beste Freundin«? Das ist viel zu wenig. Viel zu banal. Sie sind mehr. Charlotta ist ein Teil von Emilia und umgekehrt. Sie kennen sich in- und auswendig. Alle Ängste, Sehnsüchte, Träume. Manchmal ahnen sie Dinge, die die andere noch nicht von sich weiß.
    Wut steigt in Emilia hoch. Erst sind es kleine Blasen, die sich an die Oberfläche kämpfen. Als würde Wasser zu sieden anfangen. Dann kocht der Zorn in dem Mädchen über. Sie schleudert das Handy auf ihr Bett. Was denken sich Charlottas Eltern eigentlich? Was bilden die sich ein? Charlotta wegschicken? Was soll das? Und wieso Internat? Das kennt Emilia nur aus kindischen Mädchenbüchern. Oder aus kitschigen RTL -Serien. Die Fünfzehnjährige schlägt mit beiden Händen auf den Tisch vor ihr. Immer und immer wieder. Was soll sie jetzt tun?
    Â»Alles in Ordnung?« Emilias Mutter steht in der Tür. Sie guckt fragend.
    Â»Alles in Ordnung. Äh … da, da war eine fiese Spinne«, sagt Emilia schnell. »Die musste ich leider erschlagen.«
    Emilia sieht, dass ihre Mutter ihr nicht glaubt, und es ist ihr egal. Ihr Leben ist gerade in die Schieflage geraten. Da darf man wohl mal auf den Tisch hauen.
    Â»Geh mal ins Bett. Es ist gleich zehn Uhr«, sagt die Mutter nur und schließt leise wieder die Tür.
    Emilia geht wirklich Richtung Bett. Am liebsten würde sie jetzt die Schuhe anziehen, sich die Jacke schnappen, zu Charlotta fahren und deren Eltern mal kurz mitteilen, dass sie ihren Plan vergessen können. Charlotta wird nicht weggeschickt wie irgendetwas, das man nicht mehr haben will, nicht mehr braucht.
    Hilf mir. Die Worte springen Emilia an. Ganz langsam tippt sie nur: Mach ich. Kuss E. Und sendet die Nachricht ab.
    Sie löscht das Licht, aber in ihr sind alle Lampen an. Ihr Herz kann sich nicht beruhigen. Der Turnbeutel ist immer noch fest verzurrt. Ihre Gedanken jagen sich quer durch den Kopf. Angst ist dabei. Was, wenn Charlotta wirklich geht? Wie soll sie das ertragen? Erinnerungen tauchen an der Oberfläche auf. So viele Erinnerungen. Als würde sie Daumenkino mit ihren Fotoalben spielen. Charlotta und sie im Kindergarten. Charlotta und sie mit fetten Zahnlücken in der Grundschule, Charlotta und sie mit dem Seepferdchen auf den Bikinis. Charlotta und Emilia immer wieder. Im Urlaub, in der Schule, in einem Bett, auf einem Pferd.
    Â»Ihr seid wie siamesische Zwillinge, nur dass ihr unsichtbar zusammengewachsen seid«, hatte eine Lehrerin mal lachend gesagt. Sie hatte versucht, die Mädchen auseinanderzusetzen, und war damit gescheitert. Die Mädels waren zu schlau, um sich mit Briefchenschreiben zu retten. Sie hatten einfach nichts mehr gemacht. Sich nicht gemeldet, nichts gesagt, wenn sie gefragt wurden. Sie waren in einen Streik getreten. Die Lehrerin hatte damals nachgegeben. Emilia erinnert sich: Sie hatte es damals als persönliche Beleidigung empfunden, dass irgendjemand sie von Charlotta trennen wollte. Und jetzt das.
    Auch als sie gegen zwei Uhr in einen leichten Schlaf fällt, bleibt die Anspannung. Sie liegt gekrümmt und versteinert unter der Decke. Wirre Träume wirbeln durch ihren Kopf. Jemand schlägt sie, Charlotta guckt durch ein Fenster, sagt etwas. Emilia kann sie nicht hören.
    Emilia merkt nicht, dass sie im Schlaf weint.
    Als sie am nächsten Morgen
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