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Boeser Traum

Boeser Traum

Titel: Boeser Traum
Autoren: Birgit Schlieper
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vom Flohmarkt. Sie würden Partys feiern, zusammen kochen, verregnete Sonntage lang im Bett liegen, Kakao trinken und Plätzchen knabbern.
    Es klopft wieder und schon steht ihre Mutter neben ihr. Emilia hat Mühe, das Blatt vor sich mit den Unterarmen zu bedecken.
    Â»Wenn man nach dem Klopfen auf kein ›Herein‹ oder sonst was wartet, kann man es auch ganz lassen«, zischt Emilia. Sie fühlt ihr Herz im Hals. Wenn ihre Mutter liest, was unter ihren Armen steht, wird es schwierig.
    Â»Sorry, Süße. Sophie hat mir gerade gesagt, dass du Michael in den Ferien nicht besuchen willst. Warum nicht?«
    Â»Ich habe gesagt, dass ich Dad nicht mit ihr zusammen besuche«, korrigiert Emilia.
    Â»Aber Sophie hat ja eh keine Zeit.«
    Â»Das hat mir deine Vorzeigetochter ja erst zum Schluss gesagt.«
    Â»Und willst du ihn vielleicht alleine besuchen? Das ist doch eine gute Idee von ihm. Der Starnberger See ist vielleicht nicht das Traumziel, aber ihr könntet segeln gehen. Oder vielleicht mal ins Deutsche Museum. Da gibt es so viel zu sehen.«
    Â»Das Deutsche Museum ist genau mein Traumziel für die Sommerferien. Danke, Mama, dass ihr mir das ermöglicht. Wie gut, dass ihr euch getrennt habt. Sonst würde mir das ja entgehen.«
    Emilia weiß, dass sie ungerecht ist, und es ist ihr egal. Sie will jetzt einfach alleine sein und dafür bricht sie auch einen Streit mit ihrer Mutter vom Zaun.
    Â»Ich glaube, Papa würde dich einfach gerne sehen«, übergeht Dagmar Engels den Affront.
    Â» Manchmal geht es vielleicht nicht darum, was die Eltern wollen. Manchmal möchten die Kinder auch entscheiden«, sagt Emilia mit Bestimmtheit.
    Ihre Mutter ist schon auf dem Rückzug. Sie kennt ihre jüngste Tochter. Sie weiß genau, wann ein Gespräch keinen Sinn mehr macht. Jetzt ist so ein Punkt gekommen.
    Vor der Tür bleibt sie kurz stehen, atmet tief durch. »Vorzeigetochter« – das Wort nagt an ihr. Ja, sie liebt Sophie für ihre Geradlinigkeit, ihren analytischen Verstand, ihre Disziplin, ihre Körperspannung und Intelligenz. Ja, und sie liebt Emilia für ihre Spontaneität, ihren Sprachwitz, ihre Verrücktheit, ihre Coolness. Sie liebt beide so, als wären sie das einzige Kind auf der Welt. Und natürlich reicht das beiden nicht.
    UNSER HAUS steht jetzt mit schwarzem Edding geschrieben auf dem Blatt.
    Was ist mit dem Lösegeld? Wenn man jemanden entführt, muss man Lösegeld verlangen. Das ist in jedem Krimi so. Allerdings wollen Emilia und Charlotta kein Geld. Emilia kaut auf ihrem Stift herum. Im Film ist es immer so: Die geschockten und heulenden Eltern bekommen einen Erpresserbrief oder -anruf, dann kommt die Polizei mit Abhörgeräten und Psycholeuten und dem ganzen Drumherum. Das will Emilia auf gar keinen Fall. Warum überhaupt sollen sie etwas fordern? Sie wollen doch nur, dass Brandts ein bisschen Angst haben. Sie sollen nur ins Grübeln kommen darüber, ob sie ihre Tochter wirklich wegschicken wollen.
    KEIN BRIEF notiert Emilia wieder mit dicken Buchstaben.
    Allerdings, wenn Charlotta einfach nicht nach Hause kommt, werden Brandts denken, dass ihre Tochter abgehauen ist. Sie würden auch ein bisschen Angst haben. Aber sie wären wahrscheinlich erst mal wütend. Und natürlich würden sie vermuten, dass Emilia davon weiß, und sie in die Mangel nehmen. Wahrscheinlich würden sie auch irgendwie die Polizei benachrichtigen. Aber was sollen die untersuchen, wenn es keinen Brief und keinen Anruf gibt? Welche Spur sollen die verfolgen? Emilia reibt sich die Augen. Dann schreibt sie KAPUTTES RAD auf.
    Sie wendet sich der dritten Frage zu: Wie lange soll die Entführung dauern? Reichen zwei Tage? Sind vier Tage zu viel? Emilia sieht Claudine mit völlig verheulten Augen und zitternden Händen auf dem Sofarand sitzen. Plötzlich schiebt sich Niklas in das Bild. Auch er ist völlig verstört, weint lautlos. Emilia verzieht das Gesicht. Das will sie nicht sehen. Auf einmal wird ihr klar, dass sie im Begriff ist, Angst zu streuen wie im Karneval Konfetti.
    Sie streicht die Frage nach der Dauer durch. Das müssen sie spontan entscheiden. Sie wird merken, wann die Angst zu groß wird. Genau dann wird Charlotta sich selbst aus ihrem Gefängnis befreien – oder eben so tun als ob – und ihren überglücklichen Eltern in die Arme sinken.
    Emilia macht den Stift zu, faltet den Zettel ganz, ganz
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