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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
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    Sie sagte, ihr Name sei Alison Simms.
    Die Worte plätscherten zaghaft, beinahe träge über ihre Lippen, so wie Honig von der Schneide eines Messers tropft. Ihre Stimme war leise, zögernd und ein wenig mädchenhaft, obwohl sie einen festen Händedruck hatte und mir direkt in die Augen sah. Das mochte ich. Ich mochte sie , entschied ich beinahe spontan, auch wenn ich bereitwillig zugebe, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht besonders weit her ist. Trotzdem war mein erster Eindruck von dieser erstaunlich großen jungen Frau mit den schulterlangen rotblonden Locken, die im Wohnzimmer meines kleinen Hauses vor mir stand und fest meine Hand drückte, positiv. Und der erste Eindruck ist ein bleibender Eindruck, wie meine Mutter immer zu sagen pflegte.
    »Das ist ein wirklich schönes Haus«, sagte Alison eifrig nickend, als wollte sie ihrer eigenen Einschätzung zustimmen, während ihre Blicke bewundernd zwischen dem aufgepolsterten Sofa, den beiden zierlichen Stühlen im Queen-Anne-Stil, den Raffgardinen und dem gemusterten Teppich auf dem hellen Holzboden hin und her wanderten. »Ich liebe Rosa und Malve zusammen. Es ist meine Lieblingsfarbkombination.« Sie verzog den Mund zu einem ungeheuer breiten, leicht dümmlichen Lächeln, das ich sofort erwidern wollte. »Ich wollte immer in Rosa und Malve heiraten.«
    Ich musste lachen. Als Bemerkung gegenüber jemandem, den man gerade erst kennen gelernt hatte, erschienen mir ihre Worte herrlich absurd. Sie lachte mit mir, und ich wies
mit der Hand auf das Sofa. Sofort ließ sie sich tief in die Daunenkissen sinken, sodass ihr blaues Sommerkleid fast in einem Strudel aus pink- und malvenfarbenen Blumenmustern versank, und schlug ihre langen schlanken Beine übereinander, während sie ihren übrigen Körper kunstvoll um ihr Knie drapierte und sich zu mir vorbeugte. Ich hockte auf der Kante des gestreiften Stuhls direkt gegenüber und dachte, dass sie mich an einen hübschen rosa Flamingo erinnerte, einen echten, nicht eines dieser schrecklichen Plastikdinger, die in manchen Vorgärten herumstehen. »Sie sind sehr groß«, bemerkte ich wenig originell und dachte, dass sie sich das wahrscheinlich schon ihr Leben lang anhörte.
    »Ein Meter achtundsiebzig«, bestätigte sie höflich. »Aber ich sehe größer aus.«
    »Ja, da haben Sie Recht«, stimmte ich ihr zu, obwohl mir mit meinen knapp eins dreiundsechzig Meter jeder groß vorkommt. »Darf ich Sie fragen, wie alt Sie sind?«
    »Achtundzwanzig.« Eine feine Röte huschte über ihre Wangen. »Aber ich sehe jünger aus.«
    »Ja, da haben Sie Recht«, wiederholte ich mich. »Sie haben Glück. Ich habe immer so alt ausgesehen, wie ich bin.«
    »Wie alt sind Sie denn? Das heißt, wenn Sie nichts dagegen haben …«
    »Was schätzen Sie denn?«
    Die unvermittelte Eindringlichkeit ihres Blickes erwischte mich unvorbereitet. Sie musterte mich, als wäre ich ein exotisches Exemplar in einem Labor, eingezwängt zwischen zwei kleinen Glasplättchen unter einem unsichtbaren Mikroskop. Der Blick aus ihren klaren grünen Augen bohrte sich tief in meine müden braunen Augen, bevor er über mein Gesicht wanderte, jede verräterische Falte registrierte und die Spuren meiner Jahre abwog. Ich mache mir keine großen Illusionen. Ich sah mich genauso, wie sie mich sehen musste: eine leidlich attraktive Frau mit ausgeprägten
Wangenknochen, großen Brüsten, dazu noch nachlässig frisiert.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Vierzig?«
    »Genau.« Ich lachte. »Hab ich’s Ihnen nicht gesagt?«
    Wir verstummten und erstarrten in der warmen Nachmittagssonne, die uns wie ein Scheinwerfer anstrahlte und in deren Licht kleine Staubkörnchen tanzten wie hunderte winziger Insekten. Sie lächelte, faltete ihre Hände im Schoß, wo die Finger der einen Hand achtlos mit denen der anderen spielten. Sie trug keinerlei Ringe und keinen Nagellack, aber ihre Nägel waren lang und gepflegt. Sie war sichtlich nervös. Sie wollte, dass ich sie mochte.
    »Hatten Sie Schwierigkeiten herzufinden?«, fragte ich.
    »Nein. Ihre Wegbeschreibung war klasse: die Atlanctic Avenue in östlicher Richtung, dann auf der 7 th Avenue nach Süden, vorbei an der weißen Kirche, zwischen der 2 nd und 3 rd Street. Überhaupt kein Problem. Bis auf den Verkehr. Ich wusste gar nicht, dass Delray so belebt ist.«
    »Nun, wir haben November«, erinnerte ich sie. »Langsam treffen die Zugvögel ein.«
    »Die Zugvögel?«
    »Die Touristen«, erklärte ich. »Sie sind
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