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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
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offensichtlich noch nicht lange in Florida.«
    Sie blickte auf ihre Sandalen. »Ich mag den Läufer. Ganz schön mutig von Ihnen, einen weißen Teppich ins Wohnzimmer zu legen.«
    »Eigentlich nicht. Ich habe nur selten Besuch.«
    »Ich nehme an, Sie sind beruflich ziemlich eingespannt. Ich dachte immer, dass es toll sein muss, als Krankenschwester zu arbeiten«, meinte sie. »Es ist bestimmt eine sehr dankbare Aufgabe.«
    Ich lachte. » Dankbar würde mir nicht unbedingt als erstes Wort einfallen.«
    »Welches Wort würde Ihnen denn einfallen?«

    Sie wirkte ernsthaft neugierig, was ich sowohl erfrischend als auch liebenswert fand. Schon sehr, sehr lange hatte niemand mehr echtes Interesse an mir gezeigt, und so fühlte ich mich geschmeichelt. Gleichzeitig hatte die Frage etwas so rührend Naives, dass ich sie in den Arm nehmen wollte wie eine Mutter ihr Kind, ihr sagen wollte, dass alles in Ordnung war, dass sie sich nicht so anstrengen musste, weil das kleine Häuschen in meinem Garten schon ihres war. Die Entscheidung war in dem Moment gefallen, als sie über meine Schwelle trat.
    »Mit welchem Wort ich den Beruf einer Krankenschwester beschreiben würde?«, wiederholte ich und grübelte über verschiedenen Möglichkeiten. »Strapaziös«, sagte ich schließlich. »Aufreibend. Aufreizend.«
    »Gute Wörter.«
    Ich lachte erneut, wie ich es in der kurzen Zeit, seit sie sich in meinem Haus aufhielt, anscheinend ziemlich häufig getan hatte. Ich weiß noch, dass ich dachte, es wäre nett, jemanden um mich zu haben, der mich zum Lachen bringt. »Was machen Sie beruflich?«, fragte ich.
    Alison stand auf, ging zum Fenster und starrte auf die breite, von diversen Arten Schatten spendender Palmen gesäumte Straße. Bettye McCoy, dritte Frau von Richard McCoy und gut dreißig Jahre jünger als ihr Gatte, was im Süden Floridas keine Seltenheit ist, wurde von ihren beiden kleinen weißen Hunden über den Bürgersteig gezerrt. Sie trug von Kopf bis Fuß Armani in Creme und hielt in der freien Hand eine kleine weiße Plastiktüte mit Hundekacke, eine modische Ironie, die der dritten Mrs. McCoy offenbar komplett entging. »Oh, schauen Sie doch mal? Sind die nicht einfach süß? Was sind das, Pudel?«
    »Bichons«, sagte ich und trat neben sie. Ich reichte ihr knapp bis ans Kinn. »Die dummen Püppchen der Hundewelt.«

    Nun war es an Alison zu lachen, und der Klang erfüllte den Raum und tanzte zwischen uns wie die Staubkörnchen in der Sonne. »Aber niedlich sind sie schon. Finden Sie nicht?«
    »Niedlich würde mir nicht unbedingt als Erstes einfallen«, erwiderte ich als bewusstes Echo meiner vorherigen Bemerkung.
    Sie lächelte verschwörerisch. »Was würden Ihnen denn einfallen?«
    »Lassen Sie mich überlegen.« Ich fand zunehmend Gefallen an dem Spiel. »Jaulig. Nervig. Destruktiv.«
    »Destruktiv? Wie kann etwas so Süßes zerstörerisch sein?«
    »Vor ein paar Monaten war einer ihrer Hunde in meinem Garten und hat meinen Hibiskus ausgegraben. Glauben Sie mir, das war weder süß noch niedlich.« Ich trat vom Fenster zurück. Dabei fiel mein Blick auf die Silhouette eines Mannes, der sich inmitten der zahlreichen Schatten auf der gegenüberliegenden Straßenecke verbarg. »Wartet jemand auf Sie?«
    »Auf mich? Nein. Warum?«
    Ich tastete mich vorsichtig wieder nach vorn, doch wenn der Mann je existiert hatte, war er samt seinem Schatten verschwunden. Ich blickte die Straße hinunter, doch es war niemand zu sehen.
    »Ich dachte, ich hätte jemanden unter dem Baum da drüben stehen sehen«, sagte ich und wies mit dem Kinn in die Richtung.
    »Ich hab nichts gesehen.«
    »Nun, es war wahrscheinlich auch nichts. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
    »Liebend gern.« Sie folgte mir durch den kleinen Essbereich, der im rechten Winkel an das Wohnzimmer angrenzte, in die vorwiegend in weiß gehaltene Küche auf der Rückseite
des Hauses. »Oh, schau sich das einer an«, rief sie offensichtlich entzückt und steuerte mit ausgestreckten Armen und eifrig flatternden Fingern auf die Regale zu, die die Wand neben der kleinen Frühstücksecke zierten. »Was ist denn das? Woher haben Sie die?«
    Mein Blick streifte die fünfundsechzig Porzellanköpfe, die von den fünf Holzregalen auf uns herabblickten. »Sie heißen ›Kopfvasen‹«, erklärte ich. »Meine Mutter hat sie gesammelt. Sie stammen aus den Fünfzigerjahren, hauptsächlich aus Japan. Sie haben Löcher im Kopf, für Blumen vermutlich, obwohl nicht viele hineinpassen. Als
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