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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
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Lieblingsnamen?«
    »Ich glaube, darüber habe ich noch nie richtig nachgedacht.«
    »Ich mag Kelly«, sagte Alison. »Und Samantha. Wenn ich je eine Tochter habe, werde ich sie, glaube ich, so nennen. Und wenn es ein Junge wird, Joseph. Oder vielleicht Max.«
    »Sie haben ja schon alles perfekt geplant.«
    Sie starrte nachdenklich auf ihr Glas, bevor sie einen weiteren Schluck trank. »Haben Sie Kinder?« Die Frage hallte vom Glasrand wider und drang kaum nach außen.
    »Nein. Ich fürchte, ich war nie verheiratet.«
    »Man muss doch nicht heiraten, um Kinder zu haben.«
    »Heute vielleicht nicht mehr«, stimmte ich ihr zu. »Aber glauben Sie mir, in meiner Jugend in Baltimore, gab es so was nicht.« Ich öffnete die Ofentür, und warmer, wohlriechender Dampf schlug mir entgegen. »Ich hoffe jedenfalls, dass Sie Hunger haben, weil das Hühnchen jetzt knusprig und fertig ist.«
    »Also los«, sagte Alison mit einem breiten Lächeln.
     
    Alison hatte Recht. Sie war die schnellste Esserin, die ich je gesehen hatte. Binnen Minuten war alles auf ihrem Teller – Brathähnchen, Kartoffelbrei, pürierte Möhren und mehrere Stangen Spargel – verschwunden. Ich hatte kaum meine erste Gabel zum Mund geführt, als sie sich bereits einen Nachschlag nahm.

    »Das ist absolut köstlich. Sie sind die beste Köchin überhaupt«, verkündete sie mit vollem Mund.
    »Es freut mich, dass Ihnen alles schmeckt.«
    »Schade, dass ich nicht noch eine Flasche Wein mitgebracht habe.« Alison runzelte die Stirn, was sie äußerst selten tat, und blickte vorbei an den weißen Kerzen in der Mitte des Tisches zu der mittlerweile leeren Flasche Amarone.
    »Gut, dass Sie das nicht getan haben. Morgen früh fängt mein Dienst um sechs Uhr an, und man erwartet von mir, dass ich aufrecht stehe.«
    »Was hat Sie dazu bewogen, Krankenschwester zu werden?« Alison trank die letzten Tropfen Wein, die noch am Rand ihres Glases hingen.
    »Mein Vater und eine Lieblingstante sind an Krebs gestorben, beide bevor sie fünfzig waren«, erklärte ich und versuchte, auf dem Boden meines Glases nicht ihre ausgezehrten Gesichter zu sehen. »Ich habe mich die ganze Zeit so hilflos gefühlt, und das gefiel mir nicht, also beschloss ich, in den medizinischen Bereich zu gehen. Meine Mutter hatte nicht das Geld, mich Medizin studieren zu lassen, und meine Noten waren nicht gut genug für ein Vollstipendium, deshalb kam eine Karriere als Ärztin nicht in Frage. Ich entschied mich für das Zweitbeste. Und ich liebe es.«
    »Obwohl es strapaziös, aufreibend und aufreizend ist?«, neckte Alison mich lächelnd mit den Worten, die ich zuvor selbst benutzt hatte.
    »Trotzdem«, wiederholte ich. »Und als Krankenschwester konnte ich meine Mutter nach ihrem Schlaganfall auch zu Hause pflegen, sodass sie in ihren eigenen vier Wänden und nicht in einem sterilen Krankenhausbett sterben konnte.«
    »Haben Sie deshalb nie geheiratet?«, fragte Alison. »Weil Sie zu sehr damit beschäftigt waren, sich um Ihre Mutter zu kümmern?«
    »Nein, daran trägt sie nun wirklich keine Schuld, obwohl
das natürlich einfach wäre«, erwiderte ich lachend. »Ich glaube, ich bin einfach davon ausgegangen, dass ich noch endlos viel Zeit hätte, dass ich irgendwann jemanden treffen, mich verlieben, heiraten, ein paar hübsche Kinder kriegen und bis an mein Lebensende glücklich sein würde. Die absolute Standardfantasie. Aber so hat es wohl nicht funktioniert.«
    »Gab es nie jemand ganz Besonderes?«
    »Nicht besonders genug, nehme ich an.«
    »Nun, es ist nie zu spät. Man kann nie wissen …«
    »Ich bin vierzig«, erinnerte ich sie. »Ich mache mir keine Illusionen. Und was ist mit Ihnen? Niemand Besonderes in Chicago, der darauf wartet, dass Sie nach Hause kommen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht«, sagte sie, ohne freiwillig mehr preiszugeben.
    »Und wie finden es Ihre Eltern, dass Sie so weit weggezogen sind?«
    Alison hielt mit dem Essen inne und legte ihre Gabel auf den Teller. »Das Geschirr ist wirklich schön. Ich mag das Muster. Es ist hübsch, ohne sich mit dem Essen zu beißen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    Das wusste ich seltsamerweise wirklich. »Ihre Eltern wissen nicht, wo Sie sind, oder?«, fragte ich zögernd, weil ich keine unsichtbaren Grenzen überschreiten, gleichzeitig aber mehr wissen wollte.
    »Ich rufe sie an, wenn ich einen Job gefunden habe«, bestätigte sie meinen Verdacht.
    »Machen sie sich denn keine Sorgen?«
    »Das bezweifle ich.«
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