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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
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Sie schwieg einen Moment und schwang ihren Zopf von einer Schulter auf die andere. »Wie Sie sich vermutlich mittlerweile denken können, steht es um unser Verhältnis nicht gerade zum Besten.« Sie zögerte erneut, und ihre Blicke zuckten hin und her, als würde sie einen unsichtbaren Text ablesen. »Ich hatte leider einen älteren Bruder, der absolut perfekt war. In der High School Star-Stürmer
des Basketball-Teams, im College Schwimm-Champion, Abschluss summa cum laude. Und auf der anderen Seite ich, ein großes, schlaksiges Mädchen, das ständig über seine großen, tolpatschigen Füße gestolpert ist. Ich hätte nie ebenbürtig sein können, also habe ich irgendwann aufgehört, es zu versuchen, und mich in eine echte Rotzgöre verwandelt. Ich habe darauf bestanden, mein eigenes Ding durchzuziehen, felsenfest davon überzeugt, schon alles zu wissen. Ich nehme an, Sie kennen die Sorte.«
    »Klingt wie ein typischer Teenager.«
    Ihre großen grünen Augen strahlten vor Dankbarkeit. »Vielen Dank, aber ich glaube, typisch ist nicht unbedingt das Wort, das meinen Eltern als Erstes einfallen würde.«
    »Und was würde ihnen einfallen?«
    Ihr trauriges Grinsen weitete sich zu einem Lächeln, während sie auf der Suche nach passenden Adjektiven zur Decke blickte. »Unmöglich«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Unverbesserlich. Ein Problemkind«, fuhr sie lachend fort, die Worte zu einem verschleifend. »Sie haben mich ständig aus dem Haus geworfen. Und an meinem achtzehnten Geburtstag bin ich endgültig gegangen.«
    »Was haben Sie gemacht?«
    »Ich habe geheiratet.«
    »Sie haben mit achtzehn geheiratet?«
    »Was soll ich sagen?«, meinte sie achselzuckend. »Die absolute Standardfantasie.«
    Ich nickte verständnisvoll, griff nach dem Brotkorb und wischte dabei versehentlich meine Gabel vom Tisch, die, bevor sie auf den Boden fiel, erst noch einen dicken Soßenfleck auf meiner weißen Hose hinterließ. Sofort hob Alison die Gabel auf und rannte in die Küche, um Fleckenwasser zu holen, während ich mich mühsam aufrappelte und die Wirkung des Weins spürte.
    Langsam und vorsichtig ging ich ins Wohnzimmer, während
ich mich zu erinnern versuchte, wann mich ein paar Glas Wein zum letzten Mal so beschwipst hatten. Ich trat ans Fenster und lehnte meine Stirn an das kühle Glas.
    In diesem Moment sah ich ihn.
    Er stand auf der anderen Straßenseite, reglos wie die majestätische Königspalme, an der er lehnte, und auch wenn es zu dunkel war, um ihn zu erkennen, schloss ich aus seiner Haltung, dass er zu meinem Haus herüberstarrte. Ich blinzelte in die Dunkelheit und versuchte, das Licht der Laternen zu einem Scheinwerfer zu bündeln, mit dem ich ihm ins Gesicht leuchten konnte. Doch der Effekt blieb hinter meinen Erwartungen zurück, denn das Bild verschwamm beinahe vollständig vor meinen Augen. »Keine gute Idee«, murmelte ich und beschloss, ihn direkt anzusprechen, ihn zu fragen, was er dort in der Dunkelheit machte und warum er mein Haus anstarrte.
    Ich taumelte zur Haustür und riss sie auf. »Hey, Sie da«, rief ich und wies anklagend mit dem Finger in die Dunkelheit.
    Doch da war niemand.
    Ich reckte den Hals, spähte in das undurchdringliche Dunkel, wand den Kopf von links nach rechts und folgte dem Straßenverlauf mit den Augen bis zur nächsten Straßenecke und zurück. Ich lauschte auf sich eilig entfernende Schritte, hörte jedoch nichts.
    In der Zeit, die ich gebraucht hatte, vom Fenster an die Haustür zu eilen, war der Mann verschwunden. Wenn er überhaupt je dort gewesen war, dachte ich, und erinnerte mich an dasselbe irrige Gefühl vom Nachmittag.
    »Was machen Sie?«, fragte Alison, die hinter mir auftauchte.
    Ich spürte ihren Atem in meinem Nacken. »Ich brauchte ein bisschen frische Luft.«
    »Alles okay mit Ihnen?«
    »Ein bisschen zu okay. Haben Sie etwas in meinen Wein getan?«, fragte ich scherzhaft, als Alison die Haustür schloss und
mich ins Wohnzimmer zurückführte, wo sie mich auf einem der Stühle im Queen-Anne-Stil Platz nehmen ließ und den Soßenfleck auf meiner Hose mit einem nassen Lappen abzutupfen begann, bis ich die Feuchtigkeit auf der Haut spürte.
    Ich legte meine Hand kurz auf ihre, um anzudeuten, dass es nun gut sei, doch sie ließ ihre Hand auf meinem Oberschenkel liegen. »Der Fleck ist weg.«
    Sofort war sie wieder auf den Beinen. »Tut mir Leid. Das ist mal wieder typisch für mich, alles immer in Extremen, anders funktioniere ich offenbar nicht. Tut mir wirklich
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