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Batmans Schoenheit

Batmans Schoenheit

Titel: Batmans Schoenheit
Autoren: Heinrich Steinfest
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    Das Thermometer an der Wand zeigte auf die Vierundzwanzig, die Uhr auf der Kommode zeigte auf die Drei, der Kalender in der Küche zeigte auf die Zwölf, der Wärmeregler drüben im Schlafzimmer zeigte auf Aus. Hätte Ernest mitgezählt gehabt, dann hätte er gewußt, daß die Summe der Projektile, die in seinen Körper eingedrungen waren, auf die Fünf zeigte. Aber wer, bitteschön, zählt schon mit, wenn man auf ihn schießt? Das müßte dann schon ein extrem zahlenbewußter Mensch sein.
    Immerhin, daß es mehrere Kugeln gewesen waren, hatte er mitbekommen. Wobei er zu seinem Erstaunen immer noch nicht tot war. Er hatte sich das sehr viel rascher vorgestellt. Möglicherweise war es so, daß keins dieser Geschosse ihn an einer Stelle getroffen hatte, die geeignet gewesen wäre, seinen sofortigen Tod zu bewirken. Die Betonung liegt auf »sofortig«, denn er fühlte durchaus, wie er schwächer und schwächer wurde, was vielleicht aber auch mit dem Mittel zusammenhing, das ihm der Mann, der gefeuert hatte, nachdem er gefeuert hatte, verabreicht hatte. Faktum war jedenfalls, daß aus den verschiedenen Perforationen seines Körpers das Blut floß, und zwar nicht zu wenig.
    Sollte das sein Ende sein?
    Er sah über sich die Todesanzeige schweben, das schwarze, schmale Kreuz, darunter die Buchstaben, die vom Wind getragen, leicht vibrierend in der Luft standen und jenen Namen bildeten, den er so lange verleugnet hatte: Ernest Hemingway.
    Er hatte es immer gehaßt, so zu heißen. Daß der eigene Familienname mit dem einer Person identisch war, die diesen Namen berühmt gemacht, ihm eine Aura, einen Glanz verliehen hatte, nun gut, das kam vor. Andere Menschen mußten auch damit leben, den Namen Brahms oder Churchill zu tragen, das war nicht so schlimm, solange man nicht auch noch Johannes oder Winston zu heißen brauchte. Doch genau das war in seinem Fall geschehen, weil seine Eltern auf eine dümmliche Weise stolz gewesen waren, wenn schon nicht verwandt, so eben namentlich mit dem großen amerikanischen Romancier verbunden zu sein. Und welche diesen Stolz auf die Spitze getrieben hatten, dadurch, ihren einzigen Sohn auf den Namen Ernest zu taufen. Ohne sich jemals vorzustellen, wieviel Spott und Hohn ihr Kind dank dieser Unsinnigkeit würde ertragen müssen. Vor allem natürlich wegen der halbgebildeten Erwachsenen, etwa den Lehrern in der Schule, die bei jedem falsch geschriebenen Wort, jeder unglücklichen Formulierung den kleinen Ernest darauf verwiesen, daß es sich bei ihm offensichtlich um den falschen Hemingway handle. Nun, da hatten sie absolut recht, es allerdings zu erwähnen, es mit billigen Wortspielereien vor aller Welt – und was wäre eine Klasse anderes als alle Welt ? – breittreten zu müssen, hatte dazu geführt, daß die anderen Schüler diesen Umstand ebenfalls benutzten, um ihre Späße zu treiben, anfangs in Unkenntnis der eigentlichen Bedeutung, später dann mit konkreten Hinweisen auf den Nobelpreisträger, sein Werk und seine Lebensumstände. Wie oft hatte sich Ernest, bevor er eins auf die Nase bekommen hatte, den Spruch »Wem die Stunde schlägt« anhören müssen, so daß das Gesagte mehr geschmerzt hatte als der eigentliche Schlag, wie oft hatten Lehrkräfte, bevor sie ihm eine an der Kippe stehende Benotung bekannt gegeben hatten, süffisant vom »Haben und Nichthaben« gesprochen. Außerdem mußte er Fingerzeige in Bezug auf den Stierkampf – eins der ekelhaftesten Dinge, die er kannte: lebende Tiere aufspießen – sowie Anspielungen auf alte Männer, Meere und die Trunksucht über sich ergehen lassen, vor allem aber Bemerkungen über die Unart, sich eine doppelläufige Schrotflinte an den Mund zu halten und sich damit aus dem Leben zu befördern. Kaum ein Konflikt mit Gleichaltrigen, bei dem nicht am Ende die Empfehlung gestanden hatte, es dem versoffenen Großwildjäger gleichzutun.
    Das Prinzip fast jeden Unglücks ist es, sich zu steigern, ganz wie Gäste oder Fieber. Gäste und Fieber kommen ja nicht, um gleich wieder zu gehen, sondern mal eine Weile zu bleiben und solange zu nerven, bis irgend eine Art von heimlicher oder lauter Eskalation eintritt und hernach die Heilung beginnen kann.
    Ernests Unglück steigerte sich nun geradezu ins Unermeßliche, indem er mit zehn Jahren, als er sich bereits die längste Zeit dumme Witze über Safaris und das Boxen und tote Stiere und den Schnee auf dem Kilimandscharo hatte anhören müssen, zu stottern begann. Ja, anfangs schien er sich nur
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