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Dreizehn bei Tisch

Dreizehn bei Tisch

Titel: Dreizehn bei Tisch
Autoren: Agatha Christie
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    D as Gedächtnis des Publikums ist kurz. Schon fielen das Interesse und die Aufregung, die die Ermordung von George Alfred Vincent Marsh, des vierten Lords Edgware, entfacht hatte, der Vergessenheit anheim.
    Mein Freund Hercule Poirot wurde öffentlich nie in Verbindung mit diesem Fall genannt, was – ich muss dies hinzufügen – seinen eigenen Wünschen entsprach. Die Ehre des Erfolges heimste daher ein anderer ein, und das war Poirots Absicht. Überdies betrachtete er von seinem ganz privaten Standpunkt aus den Fall als eine seiner Nieten. Er schwört auch heute noch, dass ihn lediglich die zufällige Bemerkung eines gänzlich fremden Passanten auf die richtige Fährte gebracht habe.
    Vielleicht trifft dies zu; aber nichtsdestoweniger war es sein Genie, das die Wahrheit entdeckte. Und ich bin fest davon überzeugt, dass ohne Hercule Poirot der Täter straflos ausgegangen wäre.
    Deshalb dünkt es mich an der Zeit, alles, was mir über dieses Verbrechen bekannt ist, schwarz auf weiß niederzulegen. Ich kenne den Fall in- und auswendig und möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich, indem ich ihn zu Papier bringe, im Sinne einer ungemein bezaubernden Frau handle.
    Wie oft habe ich mir schon jenen Tag in Poirots nettem, behaglichem Wohnzimmer in Erinnerung gerufen, als mein kleiner Freund, auf einem schmalen Streifen des Teppichs auf und ab wandernd, uns seine meisterhafte und erstaunliche Zusammenfassung des Falles vortrug! Ich werde meine Erzählung beginnen, wie auch er damals begann: mit einem Londoner Theater im Juni des vergangenen Jahres.
    Zu jenem Zeitpunkt war Carlotta Adams vielleicht die Künstlerin, für die die Londoner sich am meisten begeisterten. Ein Jahr zuvor hatte sie etliche Matineen veranstaltet und mit ihnen einen ungeheuren Erfolg gehabt. Dieses Jahr gab sie ein dreiwöchiges Gastspiel, das nun zu Ende ging.
    Carlotta Adams, eine junge Amerikanerin, verfügte über das fabelhafteste Talent für Sketche, die keiner großartigen Aufmachung oder Szenerie bedurften. Jede Sprache schien sie mit gleicher Geläufigkeit zu sprechen. Ihr Sketch, der einen Abend in einem internationalen Hotel darstellte, war wirklich einzigartig. Der Reihe nach flitzten amerikanische und deutsche Touristen, kleinbürgerliche englische Familien, Halbweltdamen, verarmte russische Aristokraten und gelangweilte Kellner über die Bühne.
    Diese Sketche waren ein Wechselbad von Tragik und Komik. Bei ihrer Darstellung einer sterbenden slowakischen Bäuerin stieg einem ein dicker Klumpen unterdrückter Tränen in die Kehle. Eine Minute später krümmte man sich vor Lachen, wenn ein Zahnarzt während der Behandlung liebenswürdig mit seinen Opfern schwatzte.
    Carlotta Adams’ Programm schloss mit einer Nummer, die sie »einige Imitationen« betitelte.
    Auch hierbei war sie wieder unglaublich geschickt. Ohne sonderliche Hilfsmittel schienen ihre Züge sich plötzlich aufzulösen und sich in jene eines berühmten Politikers oder einer gefeierten Schauspielerin oder einer stadtbekannten Modeschönheit zu verwandeln. Jeden Charakter vervollständigte sie durch einen kurzen Kommentar. Übrigens zeichneten sich diese Anmerkungen durch Witz und Scharfsinn aus, sie schienen jede Schwäche der auserwählten Persönlichkeit zu erraten und zu treffen.
    Zuletzt verkörperte sie Jane Wilkinson, eine in London wohl bekannte junge Schauspielerin von ebenfalls amerikanischer Herkunft.
    Und hierbei übertraf sie alles bisher Gebotene. Ihr rührendes Geplauder, die betörende, heisere Stimme, die verhaltenen Bewegungen, der gewandte, schmiegsame Körper, selbst der Ausdruck von großer physischer Schönheit – wie sie das wiederzugeben verstand, ist mir ein Rätsel!
    Ich war immer ein Bewunderer der schönen Jane Wilkinson gewesen. Sie packte mich in ihren gemütvollen Rollen, und ich hatte sie stets gegen jene verteidigt, die ihr wohl Schönheit zugestanden, aber andererseits erklärten, sie sei keine wahre Künstlerin, sondern verfüge nur über beträchtliche schauspielerische Fähigkeiten. Beinahe war es ein wenig unheimlich, jetzt diese vertraute, leicht belegte Stimme aus einem fremden Mund zu hören, diese theatralischen Gesten der sich zusammenballenden und wieder öffnenden Hand zu beobachten oder das jähe Zurückwerfen des Haares aus der Stirn, mit dem sie eine dramatische Szene abzuschließen pflegte.
    Jane Wilkinson gehörte zu jenen Schauspielerinnen, die bei ihrer Vermählung die Bühne nur verlassen, um sie nach wenigen
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