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Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Schlaf Nicht, Wenn Es Dunkel Wird
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nicht zugehört?
    »Sie hatten offensichtlich nie Probleme mit Ihrem Gewicht«, bemerkte ich, als sie die auf ihrem Teller verstreuten Krümel aufsammelte und ihren Finger ableckte.
    »Ich habe höchsten Probleme, die Pfunde draufzubehalten«, sagte sie. »Als ich klein war, bin ich deswegen immer
gehänselt worden. Die anderen Kinder haben Sachen gesagt wie ›Lange, lange, Bohnenstange‹. Und ich habe als letztes Mädchen in meiner Klasse Busen bekommen, wenn auch nicht besonders viel, und dafür habe ich mir jede Menge Spott angehört. Jetzt will plötzlich jeder dünn sein, aber ich muss mir immer noch alle möglichen Sprüche anhören. Man wirft mir vor, magersüchtig zu sein. Sie sollten mal hören, was die Leute so alles sagen.«
    »Die Leute können sehr unsensibel sein«, stimmte ich ihr zu. »Wo sind Sie zum College gegangen?«
    »Ach, nirgendwo speziell. Ich war keine gute Studentin. Ich habe nach dem ersten Jahr abgebrochen.«
    »Und was haben Sie stattdessen gemacht?«
    »Mal überlegen. Eine Zeit lang habe ich in einer Bank gearbeitet, dann habe ich Herrensocken verkauft, in einem Restaurant gekellnert und in einem Frisörsalon am Empfangstresen gearbeitet. Und so weiter. Ich hatte nie Probleme, einen Job zu finden. Meinen Sie, ich könnte noch eine Tasse Kaffee haben?«
    Ich goss ihr einen zweiten Becher ein und gab Milch und drei gehäufte Teelöffel Zucker hinzu. »Möchten Sie das Gartenhaus gerne sehen?«
    Sie war sofort auf den Beinen, kippte ihren Kaffee in einem Schluck herunter und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Ich kann es kaum erwarten. Ich weiß einfach, dass es wunderschön sein wird.« Sie folgte mir zur Hintertür wie ein eifriger Welpe. »Auf Ihrem Aushang stand sechshundert pro Monat, richtig?«
    »Ist das ein Problem? Ich hätte außerdem gern eine Kaution von zwei Monatsmieten.«
    »Kein Problem. Ich habe vor, mir einen Job zu suchen, sobald ich eingezogen bin, und selbst wenn ich nicht sofort etwas finde, hat mir meine Großmutter ein bisschen Geld vererbt, sodass ich im Grunde ganz gut dastehe. Finanziell gesehen«,
fügte sie leise hinzu, und ihre rotblonden Locken fielen sanft um ihr langes, ovales Gesicht.
    Solche Haare hatte ich früher auch mal, dachte ich und strich ein paar rotbraune Strähnen hinters Ohr. »Meine letzte Mieterin war mit der Miete mehrere Monate im Rückstand, als sie verschwunden ist, deshalb muss ich …«
    »Oh, das verstehe ich absolut.«
    Wir gingen über das kleine Rasenstück, das das winzige Häuschen im Garten vom Haupthaus trennt. Ich kramte in der Tasche meiner Jeans nach dem Schlüssel, doch die Intensität ihres Blickes in meinem Rücken machte mich ungewohnt unbeholfen, sodass mir der Schlüssel aus der Hand glitt und ins Gras fiel. Sofort bückte Alison sich, um ihn aufzuheben, und als sie ihn mir zurückgab, streiften ihre Finger meine Hand. Ich öffnete die Tür zu dem Häuschen und trat einen Schritt zurück, um sie hineinzulassen.
    Ein langer Seufzer entwich ihren vollen Lippen. »Es ist noch schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Es ist … zauberhaft.« Alison tänzelte, den Kopf nach hinten gelegt und die Arme ausgestreckt, in kleinen, anmutigen Kreisen durch den winzigen Raum, als könnte sie den Zauber so fassen und an sich ziehen. Sie weiß nicht, dass sie der Zauber ist, dachte ich, und mir wurde plötzlich bewusst, wie sehr ich wollte, dass sie das Gartenhaus mochte, wie sehr ich wollte, dass sie blieb. »Ich bin sehr froh, dass Sie dieselben Farben wie im Haupthaus genommen haben«, sagte sie und ließ sich wie ein Schmetterling erst kurz auf dem kleinen zweisitzigen Sofa, dann auf dem Sessel und zuletzt auf dem Bugholz-Schaukelstuhl in der Ecke nieder. Sie bewunderte den Teppich – ein Webmuster aus malvenfarbenen und weißen Blumen auf einem rosafarbenen Hintergrund – und die gerahmten Drucke an der Wand – eine Gruppe Tänzerinnen, die sich hinter der Bühne zurechtmachen, von Degas, Monets Kathedrale im Sonnenuntergang und Mary Cassatts liebevolles Porträt einer Mutter mit Kind.

    »Die anderen Zimmer liegen nach hinten hinaus.« Ich öffnete die Doppeltür zu Kochnische, Bad und Schlafzimmer, die Platz sparend auf der Rückseite des Hauses untergebracht waren.
    »Es ist perfekt. Es ist absolut perfekt.« Sie wippte auf dem Doppelbett und strich aufgeregt über die antike weiße Überdecke, bevor sie ihr Spiegelbild über der weißen Korbkommode entdeckte und sofort eine damenhaftere Haltung annahm.
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