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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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HALASANA
    Der Pflug (Halasana) ist die wichtigste Stellung für alle, die langfristige Veränderungen in ihrem Leben einleiten wollen. Er ist ein kraftvoller Wegweiser in die innere Mitte.

    Es war nach dem vierten Glas Wein auf Mellis Party, als ich plötzlich drei überraschend klare Gedanken hatte.
    Erstens: Ich brauche dringend neue Freunde.
    Zweitens: Oder ich melde mich zu einem Yogakurs an.
    Drittens: Komisch, dass ich in meinem Zustand noch so klare Gedanken fassen kann.
    Ich hatte auch noch einen vierten Gedanken, aber der war schon deutlich unklarer. Als Nächstes überlegte ich, ob ich mir ein fünftes Glas einschenken sollte. Damit sich der Kater am Tag danach wenigstens lohnte. Allein Wein zu trinken war deprimierend. Es gab nur eine Sache auf der Welt, die noch deprimierender war: allein auf dem Geburtstag meiner besten Freundin Wein zu trinken.
    Schon als ich vorhin in Mellis Wohnung gekommen war, hatte ich es geahnt: Irgendetwas war anders als sonst. Ganz und gar anders. Aus dem Wohnzimmer drang gedämpfte elektronische Musik mit esoterischem Flötengedudel, und ein Männerchor brummelte sonor vor sich hin, Marke »Mittelalterlicher Mönch meets Meditationsgruppe«. Sehr seltsam. Sonst bevorzugte Melli eher eine Art von Musik, die auch beim Wodka-Feige-Trinken auf Après-Ski-Partys in Tirol gespielt wurde. Doch das waren noch nicht die deutlichsten Alarmzeichen. Viel schlimmer war, dass die Bierkiste in der Badewanne so einsam und unberührt dastand. Und dass in der Küche
keine Menschen waren. Partys, bei denen sich niemand in der Küche aufhielt, standen unter keinem guten Stern. Gut, ich wusste Bescheid. Melli wollte diesmal ohne Männer feiern, in einer gemütlichen Mädelsrunde. Sogar ihren Freund, die Spaßbremse Steve, hatte sie ausquartiert.
    Aber nach Spaß sah der Abend trotzdem nicht aus.
    »Wo sind denn deine Gäste?«, fragte ich. Melli zuckte die Achseln. Besonders glücklich sah sie nicht aus. »Die wollten mal kurz ins Internet«, flüsterte sie, »und das geht jetzt schon seit einer Stunde so.«
    Als ich ins Wohnzimmer kam, blickte ich auf eine Reihe von Rücken, zwischen denen ein Computerbildschirm hervorleuchtete. In der Mitte erkannte ich Annas imposanten Rollkragen, das asymmetrische Shirt ganz rechts sah nach Nadine aus.
    Das ganze Zimmer roch wie eine Reihenhaussiedlung an einem Samstagnachmittag nach dem Rasenmähen. Ich rümpfte die Nase. Grüner Tee gehörte zu den überschätztesten Getränken der westlichen Welt. Der östlichen Welt übrigens auch. Der Geruch nach frisch geschnittenem Gras war noch das Angenehmste daran. Jetzt bemerkte ich auch, dass die esoterische Musik nicht aus der Anlage kam, sondern aus den Lautsprecherboxen des Rechners.
    Die Stimmung im Raum erinnerte mich ein bisschen an Weihnachten. Wenigstens an das letzte Weihnachten mit meiner Mutter. Seit der Scheidung hörte sie auch diese Art von Musik. Sogar unter dem Tannenbaum. Und statt des MP3-Players, den ich mir gewünscht hatte, hatte sie mir einen Kristall und ein Pfund Himalajasalz geschenkt. Mir, ihrem einzigen Kind.
    Ich ging näher und blickte auf den Bildschirm. Nadine, Anna und die anderen hatten eine Website mit dem Foto einer amerikanischen Schauspielerin aufgerufen. Sie saß in einem seltsam verdrehten Schneidersitz und hatte ihre Arme so um sich herum verschränkt, dass sich ihre Fingerspitzen unter der Kniekehle berührten.
    Diese Pose konnte nur an einer Frau gut aussehen, die sich ihre Salatrationen von ihrem persönlichen Diätberater berechnen ließ. Bei jeder normalen Frau wären in einer solchen Haltung Rettungsringe rund um die Taille zu sehen gewesen, die dem Michelinmännchen
alle Ehre machten. »Hollywood’s favorite Yoga Blog« stand in verschnörkelten Buchstaben quer über die Seite geschrieben.
    »Was macht ihr denn da?«, fragte ich. »Versucht ihr, euch mit grünem Tee zu betrinken?«
    Anna wandte den Kopf und lächelte mir zu. Sie blickte so beseelt drein, als hätte ihr jemand eine Liste mit den Daten der nächsten zwanzig Tchibo-Werksverkäufe in die Hand gedrückt. Und das wollte etwas heißen. Schließlich kam sie an keiner Filiale vorbei, ohne mindestens einen pastellfarbenen Hausanzug oder eine Salatschleuder aus Edelstahl zu kaufen.
    »Hallo Evke«, hauchte sie.
    Auch Nadine drehte sich jetzt um, zog mich am Ärmel zu sich herunter und knallte einen lautstarken Kuss neben mein Ohr.
    »Guck mal, Sweetie«, sagte sie, »das ist die coolste Website zum Thema Yoga.
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