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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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gelegt.
    Jetzt ging sie genauso auf die dreißig zu wie wir anderen, war aber immer noch nicht leiser. Vielleicht war ihre überdrehte Art aber auch eine Berufskrankheit. Sie arbeitete als Chemielaborantin. Wer weiß, was da an Dämpfen in der Luft lag.
    Anna hatten wir schließlich auf der Busfahrt an die Costa Brava kennengelernt, die wir nach dem Abitur zusammen gemacht hatten. Jetzt arbeitete sie wie ich bei Sunny Side Reisen, als Assistentin des Marketingleiters. Ich hatte sie im Verdacht, dass sie mehr verdiente als ich, und das fand ich ungerecht. Immerhin hatte ich ihr den Job besorgt. Möglicherweise hatte sie ihren Gehaltssprung dem Karrierecoaching zu verdanken, das ihre Eltern ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatten. Seitdem machte sie zwanghaft alles richtig: nutzte Firmenpartys zum Networking, talkte small mit dem neuen Bereichsleiter Firmendienst, trug Anzüge in dezenten Farben und setzte sich in der Kantine zur mittleren Führungsebene. Außerdem konnte sie keinen Satz mehr ohne Spezialvokabeln bilden. Ein netter
Abend beim Italiener war eine Win-win-Situation, ein gemeinsames Party-Büfett lebte von seinen Synergieeffekten.
    Was machten diese drei jetzt alle miteinander auf dem Esoteriktrip?
    »Was hast du denn eigentlich von Anna und Nadine zum Geburtstag bekommen?«, fragte ich Melli. Zugegeben, ein lahmer Versuch, das Gespräch wieder in normalere Bahnen zu bringen. Doch wenigstens kam ich auf diese Weise weg von Körperregionen, über die ich gar nicht so genau Bescheid wissen wollte.
    Darmreinigung. Ich konnte es immer noch nicht glauben.
    Nadine und Anna wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Melli strahlte.
    »Oh«, raunte sie, »stimmt, den habe ich dir ja noch gar nicht gezeigt. Wochenlang bin ich vor dem Schaufenster um ihn herumgeschlichen und habe mir überlegt, ob ich ihn mir leisten kann. Und Nadine und Anna haben ihn einfach besorgt.«
    Suchend sah ich mich im Zimmer um und schämte mich gleichzeitig ein bisschen. Da hatte ich wohl etwas nicht mitbekommen. Was war das Objekt der Begierde, für das Melli schon so lange schwärmte? Ein schöner Schal? Ein Fünfziger-Jahre-Toaster vom Trödler?
    »Da drüben auf der Fensterbank«, Melli zeigte in die Ecke, »ist er nicht wunderschön?«
    Ich traute meinen Augen nicht. Im Fenster saß ein kleines, dickes Männchen mit Glatze und lachte.
    »Einen Buddha?«, fragte ich entgeistert. »Der ist doch überhaupt nicht dein Typ!«
    »Wie meinst du das jetzt?«, entgegnete Melli und knetete die Fransen ihres Stoffschals.
    »Du stehst doch sonst eher auf Typen mit Rückenhaaren«, sagte ich und kicherte. Es war ein alter Insiderwitz zwischen uns, seitdem Melli mir einmal ihre Schwäche für alte James-Bond-Filme und ihren Hauptdarsteller gestanden hatte.
    Keiner lachte mit. Sie sahen mich mit der gleichen milden Verständnislosigkeit an wie eine Reihe von Nonnen, denen man erklärte, dass der Heiland ohne Vollbart deutlich attraktiver aussähe.

    »Ich meine ja bloß«, ruderte ich zurück, »ich wusste ja gar nicht, dass du neuerdings auch auf diesen ganzen Kram stehst. Yoga, Ayurveda. Ist ja schlimmer als bei meiner Mutter!«
    Das machte es nicht besser. Die gefühlte Temperatur im Raum entsprach mittlerweile der eines buddhistischen Gebirgsklosters an einem bedeckten Wintermorgen. Trotz der dampfenden Teetassen.
    »Ich glaube, du brauchst dringend mehr Wein«, sagte Melli schließlich und dirigierte mich in die Küche, wo sie einen Chianti öffnete. Ich schöpfte wieder Hoffnung. Bis sie mir Glas Nummer fünf einschenkte und weiter an ihrer grünen Emailleschale nippte.
    »Ehrlich«, sagte ich und nahm einen tiefen Schluck. »Was soll das alles? Dieses ganze abgehobene Zeug passt doch gar nicht zu dir!«
    Sie zuckte schnippisch die Achseln. »Man kann doch schließlich mal was Neues ausprobieren, oder? Und neulich, beim ›Buddha Weekend‹ in Freddys Fitnessfarm …«
    »Wie bitte? Die machen jetzt auch noch Yoga?«
    Ich prustete in meinen Wein. Ein einziges Mal war ich mitgegangen zu einem Probetraining in Mellis Studio. Eine Butze am Stadtrand, mit Schwarz-weiß-Postern von Muskelmännern im Foyer und Hänflingen auf der Hantelbank. Okay, es war günstig. Aber Yoga passte dort ungefähr so gut hin wie grüner Tee ins Vereinsheim der Hell’s Angels.
    »Mein Gott«, antwortete Melli genervt, »die sind halt auch offen für neue Trends. Das ist aber eher so eine Art Yoga-Workout. Ich hab jedenfalls anderthalb Kilo abgenommen, seitdem
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