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Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Titel: Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Autoren: Werner Rosenzweig
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Röttenbach

    Das erste fahle Sonnenlicht kroch zögerlich über die sanften, bewaldeten Ausläufer des Steigerwalds und erzeugte ein silbriges Glitzern auf den Wasseroberflächen der zahlreichen Karpfenteiche. Feiner Dunst lag über den gespenstisch ruhigen Gewässern und die Reste der Nacht schlichen sich endgültig aus dem hohen Schilfbestand.
    Die Natur schlief noch. Die Blässhühner hielten sich noch zwischen den Rohrkolben versteckt. Auch die Störche, Kormorane und Fischreiher ruhten noch, bevor sie später zur Jagd aufbrechen würden.
    Lediglich der kleine Eisvogel saß bereits auf seinem Lieblingsplatz, einem dünnen Ast einer Erle, welcher weit über die Wasseroberfläche des Stockweihers hinein ragte. Der kleine Vogel richtete seinen spitzen, kräftigen Schnabel und die kleinen dunklen Augen starr auf das Wasser. Sein Bauchfedernkleid schillerte in einem satten Orange in der aufgehenden Sonne. Kopf und Flügel bedeckte ein kräftiges Eisblau. Seine winzigen, roten Füße klammerten sich fest um den dünnen Ast.
    Auf die nahe Staatsstraße 2259, welche die kleine 4800-Seelengemeinde Röttenbach in zwei Hälften zerschnitt brach der werktägliche Berufsverkehr herein.
    Auch die Motoren der großen Lastwägen auf dem Gelände eines großen Zentrallagers liefen warm. In den dicken Bäuchen der Lkws stauten sich die täglichen Auslieferungen. Die Fahrer schlürften das letzte Mal an ihrem Kaffee, rauchten ihre Zigaretten zu Ende und schwangen sich hinter ihr Lenkrad. Dann röhrten die Motoren, und die Brummis setzten sich langsam in Bewegung, um die Filialen im gesamten Landkreis mit dem nötigen Sortiment zu versorgen.
    Die Busse der Linie 205 fuhren in beide Ortseingänge ein und nahmen die ersten Berufspendler auf. Später würden die Schüler folgen, welche die weiterführenden Schulen in Erlangen und Höchstadt an der Aisch besuchten. Langsam erwachte das Dorf und stellte sich auf einen neuen Tag äußerster Betriebsamkeit ein.
    Etwa um das Jahr 1000 n. Chr. kamen die ersten Siedler auf der Suche nach Land in die waldreiche, hügelige Gegend. Sie rodeten Teile des Waldes und machten das Land urbar. Eine mühsame Arbeit. Weite Sumpfgebiete, welche auf den undurchlässigen Lettenschichten der Keuperstufe ruhten, ließen nur wenig ertragreiche Landwirtschaft zu. Im Laufe der Jahrhunderte kultivierten die Siedler die Sümpfe. So entstanden die vielen Weiherketten, welche auch heute noch der näheren Umgebung Röttenbachs ihren Charakter geben. Die Teiche liegen meist terrassenförmig an den flach abfallenden Hügeln. Der mannigfaltige Wechsel zwischen Sandsteinschichten und tonigen, wasserstauenden Schichten, das schwache Gefälle der Täler, die zahlreichen, zur Versumpfung neigenden Quellen und die für die Landwirtschaft nur bedingt tauglichen Böden waren für die Entwicklung und Erhaltung der Teichgebiete außerordentlich förderlich.
    Bereits Kaiser Karl der Große erließ die Anweisung: »Auf unseren Gütern soll jeder Amtmann die Fischteiche, soweit vorhanden, erhalten und wenn möglich erweitern. Wo sie fehlen, aber doch sein könnten, soll man sie neu anlegen.«
    Es vergingen aber noch einige hundert Jahre, bevor Röttenbach 1421 erstmals als selbstständige Seelsorgestelle urkundlich erwähnt wurde. Eine Linie der Truchseß von Pommersfelden nahm das Gebiet in Besitz und gründete Röttenbach.
    Heute ist Röttenbach ein stolzer Ort. Schuldenfrei, mit einem geordneten Haushalt. Rings um den alten Ortskern ließen sich im Lauf der Jahre die »Neigschmeggdn« nieder und errichteten ihre protzigen Wohnhäuser. Meist zugezogene »Siemensianer«, die in der nahen Stadt Erlangen bei dem Großkonzern in Brot und Arbeit stehen.
    Mit jedem neu ausgewiesenen Baugebiet geht der Anteil der alteingesessenen Röttenbacher immer weiter zurück. Der aktuelle Telefonbucheintrag offenbart 41 Familien mit dem Namen Müller. 39 Fuchs‘, 20 Amons, 15 Baumüllers, 14 Holzmanns, 11 Warters und 11 Wahls. Sie repräsentieren die Wurzeln der alteingesessenen Franken und sind der Garant für die Erhaltung der einheimischen Bräuche und Sprache.
    Die Masse der zugezogenen »Preußen« kommt über einige wenige Grundkenntnisse der weichen, mittelfränkischen Aussprache niemals hinaus, will aber überall mitreden. So wie Frau B.: »Also mein Sohn, in der Klasse 4, meint auch, dass die Lehrerschaft durchaus schneller durch den Stoff des Lehrplans gehen könnte. Mein Junge langweilt sich so, müssen Sie wissen. Er ist einfach
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