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Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Titel: Karpfen, Glees und Gift im Bauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Rosenzweig
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beiden Großvögel, ihre schlanken Hälse nach hinten und stimmten mit ihren roten Schnäbeln ein aufgeregtes Geklapper an. Dann begaben sie sich an den Hausputz. »Die Schderch sen scho do!«, freuten sich die Fußgänger, unten in der Hauptstraße. Doch nachdem die Vögel das alte, verfilzte Moos, das feuchte und teils noch schneebedeckte Heu, sowie die Kotreste ihrer letztjährigen Aufzucht sorgfältig aus dem Astgewirr ihres Horsts entfernt und auf das steil abfallende Dach entsorgten, erhoben sie sich wieder in die Luft und kehrten zu ihrem Nürnberger Winterquartier zurück.
    Jetzt, Ende April, hatten sie längst ihre Sommerresidenz wieder in ständigen Beschlag genommen und sahen hinab auf die lärmende und vor Abgasen stinkende Hauptstraße. Nichtsdestotrotz war ihr Domizil ein idealer Ausgangspunkt für ihre Ausflüge in die fetten Feuchtwiesen mit den unzähligen Fischteichen. Leckere Wasserfrösche warteten dort auf sie. Hunderte von neugierigen, unvorsichtigen Fischsetzlingen tummelten sich knapp unter der Wasseroberfläche. Lediglich die Konkurrenz der dreisten Fischreiher und der gefräßigen Kormorane nahm in den letzten Jahren deutlich zu. Ärgerlich! Die Störchin dribbelte nervös auf ihren langen dünnen Beinen und trat an den Rand des Horsts. Sie öffnete ihre Schwingen und stieß sich ab. Mit drei, vier kraftvollen Flügelschlägen gegen den Luftwiderstand gewann sie schnell an Höhe. Die lauen Aufwinde trugen sie höher und höher. Wie ein überdimensionaler Bohrer schraubte sie sich in den wolkenlosen, blauen Himmel Röttenbachs. Zweimal umflog sie ihr Nest und blickte auf ihren Lebensgefährten hinab. Dann überflog sie das Gemeindezentrum und drehte in Richtung Süden, auf die langgezogenen Weiherketten ab, welche sich bis nach Dechsendorf erstreckten.
    Genau unter ihr, im Konferenzraum 1 des Rathauses saßen sich zwei Parteien gegenüber, welche unterschiedlicher nicht hätten sein können. Seit Wochen führten sie von Unterbrechungen geprägte Vertragsverhandlungen.
    Auf der einen Seite des Tisches saßen Herr Raphael T. Eberle, Mehrheitsgesellschafter und Generaldirektor der Eberle Investment GmbH, aus Waiblingen, in der Nähe von Stuttgart. Ihm zur Seite saß Gustav Haeberle, sein Schwiegersohn und designierter Nachfolger. Raphael T. Eberle ging auf Ende sechzig zu, war aber körperlich und geistig noch total fit, was man ihm aufgrund seines Äußeren gar nicht so ansah. Er war ein fülliger Mann, sein Bierbauch wölbte sich wie eine Trommel auf seine kurzstämmigen Oberschenkel. Sein mächtiger Schädel war nahezu blank. In Höhe seiner Ohren zog sich nur noch ein dürftiger, weißer Haarkranz um seinen Hinterkopf. Dicke, fleischige, Ohrläppchen erinnerten an eine asiatische Buddha-Statue. Seine Hängebacken bestätigten diesen Vergleich. Ständig hielt er ein Stofftaschentuch, groß wie ein Geschirrtuch, in der Hand, welches er als Waffe gegen seine permanenten Schweißausbrüche einsetzte. Wenn er sich innerlich erhitzte, und dies geschah während der Vertragsverhandlungen in den letzten Wochen sehr häufig, nahm sein Kopf das tiefe Rot überreifer Tomaten an, und Schweißperlen, groß wie Kirschkerne, traten ihm auf Stirn und Kopfhaut. Seine emotional und gehetzt artikulierten Diskussionsbeiträge, sowie seine theatralisch übertriebene Gestik bewirkten dann jedes Mal tsunamiartige Wellenbewegungen auf seinem Hängebauch. Der asiatische Buddha verwandelte sich dann in das tobende und keifende Rumpelstilzchen der Gebrüder Grimm.
    Rechts neben ihm saß sein Schwiegersohn. Ständig kaute er Tic Tac, welche er sich paarweise in seinen dünnlippigen Mund einschmiss. Das Auffälligste an Gustav Haeberle aber waren seine Augen. Immer waren sie in Unruhe. Die Augäpfel traten weit aus den Augenhöhlen hervor. Er trug ein rahmenloses Brillengestell mit extrem dicken Gläsern. Sein schmaler Mund war nahezu lippenlos. Seine Gestalt eher schwächlich, mit dem Ansatz eines kleinen Buckels. Alles in allem sah er aus wie ein Stummelschwanzchamäleon auf Madagaskar. Kurzum, Gustav Haeberle konnte man durchaus als einen unattraktiven Menschen bezeichnen. Seine blasse Haut, die weißen Augenlider und die mit Pomade, angeklatschte Frisur trugen zu diesem Erscheinungsbild bei. Seinem Reptilienmund war heute noch kein einziger »Piep« entsprungen. Dafür rollten seine Augen rastlos hin und her und registrierten jede kleinste Bewegung im Raum. Auf die Frage, ob er aus dem Schwäbischen stamme, meinte

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