Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Karpfen, Glees und Gift im Bauch

Titel: Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Autoren: Werner Rosenzweig
Vom Netzwerk:
ansah. Wie ein Speer schoss ihr spitzer, roter Schnabel in das Wasser, erfasste den chancenlosen Lurch und würgte ihn in ihren Kropf. Sie hatte für heute genug. Vollgefressen und zufrieden knickte der große Vogel kurz in den Beingelenken ein, stieß sich vom sumpfigen Weihergrund ab und schwang sich mit wenigen Flügelschlägen in die Luft. Drei Minuten später landete die Störchin auf dem gemeinsamen Nest und wurde von ihrem Gemahl mit freudigem Schnabelklappern begrüßt.
    Drunten, aus der Ringstraße kommend, bog ein schwarzer Mercedes der S-Klasse mit Waiblinger Autokennzeichen nach links in die Hauptstraße ab und nahm einem Einheimischen, der in seinem zehn Jahre alten VW Golf unterwegs war, die Vorfahrt. Am Steuer der Luxuskarrosse saß ein blasses Chamäleon, welches mit den Augen rollte und Tic Tac kaute. Neben ihm auf dem Beifahrersitz saß ein asiatischer Buddha. Sein Kopf leuchtete wie eine reife rote Tomate.
    Hubertus Sapper, der einheimische Golf-Fahrer, fluchte und stieg in die Eisen. »Ja verregg! Heh, du Orsch mid Ohrn, hasd ka Augn im Kubf«, rief er dem Mercedes nach. »Hasd dein Fiehrerschein in der Lodderie gwunna? Schau bloß, dassd ham kummsd zu deine andern Aliens, Sau-Breiß damischer und lass di bei uns nemmer bliggn, Orschgsichd, alds!«
    Nun, dieser Wunsch blieb Hubertus Sapper verwehrt. Er konnte ja nicht ahnen, dass er in naher Zukunft erneut auf die baden-württembergischen Aliens treffen würde.
    Er konnte sich lange nicht beruhigen und grummelte weiter vor sich hin. Kein Wunder, die Sonne brannte gnadenlos vom wolkenlosen, blauen Himmel. Es war viel zu heiß für diesen 28. April, 2011, und der einzige Luxus, den der alte Golf noch besaß, die Klimaanlage, war schon seit mehreren Wochen defekt.
    »Dees is vielleichd a Greiz, mid dera Breißn-Baggaasch! Eigschberrd kerns alle, die Breißn-Zibfl!«

    Kunni und Retta

    Kunigunde Holzmann lebte seit ihrer Verehelichung, vor achtundfünfzig Jahren, in dem kleinen Einfamilienhaus, in der Kirchengasse, gleich gegenüber von Gerda Wahl, der fränkelnden Sopranistin, aus dem Kirchenchor von St. Mauritius.
    Margarethe Bauer, Kunnis beste Freundin, hatte ihr Domizil gleich um die Ecke, in der Lindenstraße.
    Die beiden kannten sich bereits seit dem Sandkastenalter und das lag zwischenzeitlich immerhin schon sechsundsiebzig Jahre zurück. Beide gingen stramm auf die achtzig zu, sahen aber noch sehr rüstig aus. Altersbedingt leiden sie dennoch an so manchen Zipperlein.
    Die Holzmanns Kunni, wie sie liebevoll im Dorf genannt wurde, klagte häufig über Schmerzen in ihren lädierten Knien, so dass ihr weites Laufen immer schwerer fiel. Kein Wunder, bei ihrem Gewicht von fünfundachtzig Kilo und einer Körpergröße von gerademal einen Meter neunundfünfzig.
    Die Bauers Retta hingegen lief immer noch wie ein Porsche Carrera, frisch aus der Fabrik. Bei ihr war es die Gicht, die sich immer stärker in ihren Fingergelenken ausbreitete. Im Gegensatz zu ihrer Freundin war Retta rank und schlank und konnte aus der Ferne betrachtet durchaus als attraktive Endfünfzigerin durchgehen. Nicht umsonst hatte Retta einen glühenden Verehrer: ihren Untermieter Dirk Loos, den zugezogenen Rentner aus dem Sauerland.
    Natürlich hatten Retta und Kunni auch nicht mehr das feine Gehör ihrer Jugend. Hörgeräte kamen für die beiden nicht in Betracht. Solche Dinger trugen ja nur alte Leute.
    Die beiden frönten seit Langem gemeinsamen Interessen. An oberster Stelle stand da die Leidenschaft für gutes Essen. Selbstredend kam da nur die deftige, fränkische Küche infrage. Von Sterneköchen und großen Tellern, auf denen hauchdünnes Carpaccio vom Wildwasserlachs mit Flocken von schwarzen Trüffeln in Balsamicoessig mariniert unter einem Blatt Salat versteckt ist, hielten sie absolut nichts. Auf der Hitparade ihrer Lieblingsspeisen stand seit Jahrzehnten »Schäuferla mit Glees«, der Ferrari unter den deutschen Schweinebraten, gefolgt vom »Gebackenen Aischgründer Spiegelkarpfen«. An dritter Stelle dominierten »Graudwiggerli«, serviert mit einer deftigen Rahmsoße und Kartoffelpüree. Das Kartoffelpüree, »Bodaggnbrei« genannt, musste zur Abrundung des Geschmacks unbedingt mit Majoran versetzt sein.
    In den heißen Sommermonaten (aber wie oft kamen die schon vor?), hatten die beiden Röttenbacher Urgesteine dann gewöhnlicherweise doch eher einen Glusderer auf kalte Speisen. Presssack mit Musik, Obatzter, fränkischer Wurstsalat, oder eine Bauernplatte mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher