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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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Berger einen Arm und sah sich um. Vermutlich suchte er nach verräterischen Schweißflecken.
    »Also, meinetwegen ist er ein Mischtyp«, lenkte Plisch ein, »aber Auberginen in kleinen Mengen kann er auf jeden Fall vertragen.«
    Herr Berger ließ seinen Teller sinken und hob abwehrend eine Hand.
    »Ach nein«, sagte er, »wenn ich’s mir recht überlege, habe ich doch keinen großen Hunger.«
    Später wurde getanzt. Chris und ich lehnten an einem Stehtischchen am Rand und sahen zu. Ab und zu sagte einer von uns: Jetzt sollten wir aber mal, aber es kam nie so weit. Stattdessen kam immer etwas dazwischen. Ein dringender Kuss, eine unaufschiebbare Umarmung.
    Frau Stöver schwang mit ansteckendem Spaß ihre Hüften, genau an ihrer Seite ließ Lisa-Marie den Oberkörper wackeln. Mittlerweile hatte ich mich an ihren neuen, platinblonden Look gewöhnt und
war nicht mehr jedes Mal irritiert, wenn sie an mir vorbeirauschte. Seit sie es beim Fotoshooting für die große Boulevardzeitung im letzten Spätsommer zum Titelmädchen gebracht hatte, war sie wie ausgewechselt, hatte alle drei Wochen eine neue Frisur und alle vier einen neuen Freund. In letzter Zeit hatte ich munkeln hören, dass ein großer Münchner Frauensender ihr eine Stelle als Nachwuchsmoderatorin angeboten hatte, und ich hätte gern mal ein ernstes Wörtchen mit ihr geredet. Leider sprach sie immer noch nur das Nötigste mit mir. Mein Betrug mit der Bärchentasse saß einfach zu tief.
    »Übrigens«, ich schmiegte mich an Chris, »Melli war heute wieder beim Arzt. Alles in bester Ordnung.«
    »Wie weit ist sie denn?«, fragte Chris. »Das Kind müsste doch jeden Moment da sein, so wie sie aussieht!«
    »Es dauert aber noch so drei bis vier Wochen. Neulich hat Steve das Schlafzimmer schon mal umgeräumt, damit das Babybett auch Platz hat. Das war für Melli allerdings ein harter Prozess.«
    »Wieso das denn? Ich dachte, sie freut sich!«
    »Schon. Aber jetzt ist kein Platz mehr für ihren Altar.«
    »Für Steves Plasmafernseher auch nicht.«
    »Ein Sieg der Gerechtigkeit.«
    »Sag mal, Evke? Weißt du, was ich dich schon lange fragen wollte?«
    »Na?«
    Er blickte verschämt an mir vorbei und biss sich schief auf die Lippe. »Wie soll ich es sagen?«, begann er und stotterte ein bisschen, »hast du … ich meine, es ist ja nicht schlimm, wenn es so ist, ich frag nur … also … hast du eigentlich ein Problem mit Zimmerpflanzen?«
    Verdutzt sah ich ihn an und schüttelte den Kopf. »Nein. Aber die haben ein Problem mit mir. Warum fragst du?«
    »Na ja, es ist …«, wieder blickte er nervös zur Seite, »also, heute Mittag bin ich zufällig in einem Blumenladen gewesen und habe mich ein bisschen nach Grünpflanzen umgesehen. Da habe ich einen wilden Wein entdeckt. Sehr hübsch, so eine ganz saftige, grüne Farbe, und die Floristin hat gesagt, der ist extrem robust und verzeiht fast alles.«

    »Oh, wie süß!«, ich schlang meine Arme um Chris. »Und den wolltest du mir schenken?«
    »Schenken nicht direkt.« Er griff nach meinen Ellenbogen und sah mich seltsam an. So ernst. Als hätte er mir eine entscheidende Mitteilung zu machen.
    »Chris?«, fragte ich vorsichtig. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja … nein … ach, Evke, unterbrich mich doch nicht, wenn ich dir gerade etwas Wichtiges sagen möchte. Ich dachte, dieser Wein … und wir … na, dass wir drei ganz gut zusammenpassen würden. Wenigstens für den Anfang. Deshalb habe ich mir gedacht … Evke, möchtest du mit mir zusammenziehen?«
    Ich wusste nicht, wo ich hinschauen sollte. Die Tanzfläche schwankte, die Tänzer noch mehr, und in meinem Kopf war Sturmflut auf Hallig Hooge. Schließlich hob ich den Blick und sah dem Goldbuddha auf dem Büfett direkt in die Augen.
    Er zwinkerte. Ich schwöre, er hob seine schweren Lider um einen Millimeter und zwinkerte.
    Und dann sagte er etwas. Ein einziges Wort.
    Vielleicht war es ja ein altertümlicher Sanskrit-Ausdruck. Aber es klang, als sagte er: »Siehste?«
    In diesem Moment, nach drei ayurvedischen Ingwercocktails, hatte ich drei überraschend klare Gedanken.
    Erstens: Das riesige, laminierte »The Matrix«-Plakat über Chris’ Bett würde in den Flur wandern.
    Zweitens: Das blaue Sofa würde einen neuen Bezug bekommen. Und einen Ehrenplatz.
    Drittens: Endlich wusste ich, was die Yogis immer mit dem Hier und Jetzt meinten. Es gab Momente, manche groß und manche klein, in denen das Leben alles gab, was es hatte. Und man durfte keinen von ihnen
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