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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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um diese Jahreszeit nicht noch ein bisschen leer dort?«, fragte Frau Stöver besorgt. »Da fährt doch sonst keiner hin!«
    »Stimmt schon«, ich nickte, »aber so ist das eben. Immerzu kommt man im Leben entweder zu früh oder zu spät. Erstaunlich, dass trotzdem ab und zu etwas klappt.«
    Chris wollte noch etwas hinzufügen, aber ich hielt ihm schnell den Mund zu. »Nicht jetzt«, zischte ich, »Anna ist dran.«
    Auf einem Podium neben dem DJ-Pult hatte meine Freundin sich aufgebaut und schwang ein kabelloses Mikrofon vor ihrem Nadelstreifenanzug. Es gab ein paar hässliche Pfeiftöne von sich, und sie haute ungeduldig drauf, bis es vollständig schwieg. Dafür verstärkte es jetzt auch keinen Ton mehr. Schließlich erbarmte sich der DJ, kam neben dem Plattenteller vor, schlurfte auf sie zu und schaltete es an einem kleinen Hebel wieder an. Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich glaubte, in ihm den Praktikanten aus der Intranet-Abteilung wiederzuerkennen. Nur dass er jetzt nicht mehr aussah wie die frühen Tokio Hotel, sondern eher wie die frühen Take That, mit Karoshirt und Schiebermütze. Diese jungen Leute. Wechselten ihren Geschmack wie die Hemden.
    »Hey«, rief Anna, »seid ihr gut drauf?«
    Die Reaktion war gespalten. Die meisten taten gar nichts, Fynn begann auf dem Arm seiner Mutter zu weinen. Nur ein Grüppchen rechts vorn an der Tanzfläche hob geschlossen die Arme und rief enthusiastisch: »Hey, Anna!«

    »Ich glaube, das sind die neuen Animateure«, flüsterte ich Chris zu, »die kommen frisch von der Schulung.«
    »Super!«, rief Anna mit gespieltem Enthusiasmus zurück. »Ich freu mich sehr, euch heute zum dreiundvierzigsten Sunny-Side-Firmenfest zu begrüßen. Ich weiß ja, ihr alle freut euch schon auf das köstliche Büfett mit den ayurvedischen Spezialitäten, das Plisch, äh, ich meine Frau Köster und Frau Naschke für euch gezaubert haben, und deshalb möchte ich mich auch ganz kurz fassen, bevor unser Vorstandsvorsitzender, Herr Dr. Großenstedt, noch ein paar Worte an uns richten wird. Wie die meisten von euch vielleicht wissen, hat Sunny Side eine erstaunliche Erfolgsgeschichte, deren Anfänge im Jahr 1967 liegen. Damals kam ein junger Zugschaffner auf die kreative Idee, einen kompletten D-Zug als Urlaubszug zu chartern und die Abteile …«
    »Kann das sein, dass deine Freundin heute ein bisschen langatmig ist?«, fragte Chris und biss mich bei der Gelegenheit sanft ins Ohrläppchen.
    »Sei nachsichtig!«, gab ich zurück. »Die hat zurzeit wirklich andere Sorgen.«
    »Andere Sorgen? Was denn?«
    »Es ist wegen Tobi. Der hat doch neulich seinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben. Und jetzt muss sie sich entscheiden: entweder Wochenendbeziehung, oder sie geht mit.«
    »Wo ist denn Tobis neue Stelle?«
    »In Bielefeld.«
    Zehn Minuten später war Anna fertig, dann bestieg Dr. Großenstedt das Podium, um ein paar Worte zu sagen, und eine halbe Stunde danach kündigte er die kurze Begrüßung des Firmendienst-Vorstandes an. Plisch und Plum standen mit glasigen Augen hinter den Warmhalteschalen aus Edelstahl und schepperten ungeduldig vor sich hin. Ich konnte mich täuschen, aber es hörte sich an, als klopften sie den schleppenden Takt der Worte mit ihren Schöpfkellen auf den Deckeln nach. Auch bei der Dekoration hatten sie sich nicht lumpen lassen. Zwischen den Warmhalteschalen standen eine chinesische Glückskatze mit depressivem Gesichtsausdruck, die mechanisch
mit ihrer Pfote winkte, und ein goldener Buddha mit Schlafzimmerblick.
    Um kurz vor halb neun wurde das Büfett endlich eröffnet. Vor mir in der Essensschlange stand Berger, die unvermeidliche Sonnenbrille im Haar und einen Teller in der Hand.
    »Das sieht aber mal wieder ganz köstlich aus, die Damen«, sagte er und deutete auf Reis mit einer Auberginenpampe, »wenn ich das hier mal probieren dürfte?«
    Plisch griff bereits nach der Schöpfkelle, da fiel Plum ihr in den Arm.
    »Auf keinen Fall«, sagte sie streng zu ihrer Kollegin, »der Herr Berger ist ein Pitta-Typ, dem bekommen keine Speisen, die zusätzlich die innere Hitze schüren.«
    Plisch schenkte ihr einen vernichtenden Seitenblick.
    »Der ist nicht Pitta!«, sagte sie. »Schau dir doch seinen Körperbau an. Kompakt, massig, langsame Bewegungen. Reinstes Kapha.«
    »So«, funkelte Plum zurück, »und was ist mit seiner Neigung zum Schwitzen? Seinen häufigen Magen-Darm-Problemen? Herr Berger ist Pitta, da beißt die Maus keinen Faden ab.«
    Unauffällig hob Herr
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