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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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Frühjahr.
    Allmählich begann ich mich zu fragen, ob ich nicht genau den entgegengesetzten Fehler machte wie vor einem halben Jahr. Ob ich diesmal so unnahbar war, dass Chris glauben musste, ich würde mich nicht mehr für ihn interessieren. Dass er glauben konnte, ich wäre mir nun endgültig selbst genug.
    Die ganze Zeit fragte ich mich: Konnten Yoga-Frauen und Mountainbike-Männer miteinander glücklich werden? Und warum eigentlich nicht? Schließlich gab es auch Mischehen zwischen Muslimen und Christen. Und Wohngemeinschaften, in denen HSV- und St.-Pauli-Fans lebten. Nahm ich wenigstens an.

    Ich brauchte dringend Beratung. Ich brauchte eine Selbsthilfegruppe. Ich brauchte den Rat einer Betroffenen.
    Und plötzlich fiel es mir ein. Ich kannte sogar eine.
    Melli.
    Steve und sie – war das nicht genau so eine Kombination? Und außerdem, ich musste es mir eingestehen, verstand sie viel von Liebe. Wahrscheinlich mehr als ich.
    Jahrelang hatte ich mich innerlich lustig gemacht über ihre langweilige Beziehung und die samstäglichen Pärchendialoge an der Tiefkühltruhe im Supermarkt. Erst in den letzten Monaten hatte ich verstanden, wie echt Melli war. Nie war sie einer Taktik gefolgt. Sondern immer nur dem, was ihr Herz ihr sagte.
    Gut, es konnte durchaus passieren, dass ihr Herz kein besonders verlässlicher Ratgeber war. Trotzdem folgte sie ihrem Gefühl, auch wenn es sie manchmal in steinige Gegenden brachte oder an Türen, hinter denen keiner zu Hause war.
    Und, nicht zu vergessen: Sie hatte einen Kerl, der ihren Altar andübelte. Obwohl dafür der Plasmafernseher aus dem Schlafzimmer verschwinden musste.
    Ich nahm einen tiefen Atemzug. Spürte, wie die Luft kühl durch meine Nasenlöcher einströmte, wie ich sie in meiner Lunge wärmte, zum Leben erweckte und wieder entließ. Dinge kamen und gingen. Ich musste nichts tun. Nur das eine noch.
    Und während draußen die Stadt zu ihrem späten, ihrem brausenden und tosenden Nachtleben erwachte, griff ich nach meinem Handy und wählte Mellis Nummer.

GARBHASANA
    Die Stellung des Kindes (Garbhasana) harmonisiert und führt zu einem unschuldigen und reinen Glücksgefühl.

    Das gleichmäßige Tuten in der Leitung wurde von einem Poltern und Krachen unterbrochen. Ich hörte erst einen Schmerzensschrei, dann Mellis vernuschelte Stimme.
    »Wassn los?«, fragte sie. »Wer issn da?«
    »Ich bin’s«, sagte ich und merkte, wie atemlos meine eigene Stimme klang.
    Einen zähen Moment lang war Schweigen. Panisch jonglierte ich mit zwei Gedanken. Einem furchtbaren und einem schrecklichen. Schrecklich genug, wenn Melli meine Stimme tatsächlich nicht mehr erkannte. Noch nie in unserem Leben hatten wir uns bisher mit Namen melden müssen. Noch furchtbarer war die Möglichkeit, dass sie immer noch nicht mit mir reden wollte.
    »Melli?«, flüsterte ich. »Was ist los? Hast du dir wehgetan?«
    »Hm. Bin gegen den Altar gerannt.«
    »Wie, ich dachte, Steve hätte den angedübelt?«
    »Ja. Aber jetzt haben wir ein 1,80-Meter-Bett, und nichts passt hier mehr so richtig.« Ein ganzer Satz inklusive Nebensatz. Wenigstens so viel war klar: Melli weigerte sich nicht mehr, mit mir zu sprechen.
    »Na?«, fragte sie dann.
    »Melli«, sagte ich leise, »du fehlst mir so.«
    Es rauschte und knackte im Äther, schließlich hörte ich sie seufzen.
    »Ach, Evke. Liebes. Du mir auch. Aber musst du mich deshalb zu nachtschlafender Zeit anrufen?«

    »Nachtschlafender Zeit? Es ist noch nicht mal zehn!«
    »Oh, ehrlich? Kam mir viel später vor. Ich bin so früh müde in den letzten Tagen.«
    »Kein Wunder, wenn man morgens um sieben schon zur Meditation aufsteht. Du solltest einfach mal länger schlafen, dein Job ist anstrengend genug.«
    »Wo bist du überhaupt?«, fragte Melli.
    »Auf Ibiza.«
    »Ibiza? Allein?«
    »Ja. Nein. Es ist kompliziert. Melli, ich brauche dringend deinen Rat.«
    »Na dann. Lass hören.«
    Ich wollte gerade ansetzen, als sich eine Erinnerung in meinem Kopf breitmachte. Nadines strenge Miene, als ich ihr auf Annas Geburtstag von meiner neuen Liebe hatte erzählen wollen. Ich kann es nicht mehr hören, hatte sie gesagt. Alle drei Monate präsentierst du uns einen neuen Vater deiner Kinder.
    Wie würde Melli wohl reagieren, wenn ich jetzt wieder Chris ins Spiel brachte? Würde sie mich auch nicht ernst nehmen? Zwar kannte sie sich mit Versöhnungen aus. Aber es war ja wohl ein Unterschied, ob man nach einer kurzen Krise in einer jahrelangen Beziehung wieder zueinander fand
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