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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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Lebendigkeit. Statt einer zackigen Kurve haben die nur eine gerade Linie. Fast wie bei Hirntoten!«
    Ich musste wieder an die Nacht vor meinem Fernsehauftritt denken. Die Suche in der Hotelzimmerbibel. Selig sind die Wahnwitzigen.
    Entweder ich war eine miserable Yogini. Oder ich schaffte es, Yoga und Wahnsinn ganz gut zu verbinden. Wenigstens manchmal.

    Jetzt sah er mir direkt in die Augen. »Ich meine, es ist ja schön und gut, zur Ruhe zu kommen. Einen Ausgleich zu schaffen, gegen Alltagsstress. Außerdem soll Yoga ja spitze sein bei Rückenproblemen.«
    Ich nickte halb reserviert, halb ermunternd. Ich wusste immer noch nicht recht, worauf er hinauswollte.
    »Aber ein Leben so völlig ohne Aufregung, ohne Auf und Ab, immer in der gleichen, mittleren Reisegeschwindigkeit? Möchtest du das wirklich führen? Ist das dein Ziel? Das war es, was ich mich gefragt habe. Und was mich plötzlich zum Zweifeln gebracht hat. Und dann, als ein paar Wochen später auch noch die Rundmail an alle Sunny-Side-Mitarbeiter ging, dass du jetzt Yogakurse in der Firma anbietest, war ich plötzlich ganz froh, dass es nicht weitergegangen ist mit uns.«
    Er schüttelte den Kopf und schien plötzlich traurig zu sein.
    »Dabei habe ich dich doch ganz anders kennengelernt«, sagte er leise. »So lustig. So spontan. So … leidenschaftlich.«
    Es war still. Zu still.
    »Ich hatte mal einen Yogalehrer, der hat gesagt, im Tiefschlaf sind wir unserem wahren Ich am nächsten«, sagte ich.
    Chris nickte bedächtig. »Eben. Wir haben nur ein Leben und sollen dabei alles ausschalten, das uns lebendig macht? Ist das nicht tödlich langweilig?«
    Auf einmal wusste ich, dass jetzt alles sehr einfach sein konnte. Es wäre ein Leichtes gewesen, ein paar flapsige Bemerkungen über Yoga zu machen. Über Menschen, die jeden Tag eine Stunde für den Weltfrieden meditierten, die keinen Knoblauch aßen, um die nervöse Energie zu meiden, und die in ihrem Schlafzimmer einen Buddha-Schrein in Richtung Norden aufstellten. Chris und ich hätten gemeinsam lachen können. Unsere Körper auf dem schmalen Handtuch näher zusammenschieben können. Und uns schließlich unter dem rosa Himmel von Eivissa küssen, so nahtlos leidenschaftlich, als hätten wir das blaue Sofa nie verlassen.
    Das wäre schön gewesen.
    Aber es wäre auch Verrat gewesen.
    Verrat an meinen Freunden. Verrat an Melli, die so ernsthaft nach dem richtigen Weg für ihr Leben suchte. Verrat an allen, die sich
Mühe gaben, mit Yoga auch einen anderen Umgang mit sich selbst und anderen zu finden. Und auch Verrat an mir selbst.
    Ich konnte die letzten sechs Monate natürlich einfach aus meinem Leben streichen. Ich konnte mich wieder genau in das alte Chamäleon verwandeln, das ich immer gewesen war. Eine Frau, die jedem Mann genau das erzählte, was er hören wollte. Die sich in eine Tischtennisspielerin verwandeln konnte, um Mirko Hansen aus der 11 b zu beeindrucken. Oder in eine Pflanzenliebhaberin, um einem Yogalehrer zu gefallen. Und dann im nächsten Moment mit einem enorm attraktiven – also, wirklich enorm attraktiven! – Kollegen über Kobras und Krieger herzuziehen, bloß, damit er sie endlich in sein Hotelzimmer schleppte.
    Nein. Das konnte es nicht sein.
    Wir schwiegen. Langsam wurde das Schweigen zäh wie ein Steak vom uralten spanischen Kampfstier. Ich drehte an meinem Silberring und dachte an meinen Treueschwur an mich selbst.
    »Wusstest du übrigens, dass Yoga die Kundenzufriedenheit in mittelständischen Reiseunternehmen um neunundzwanzig Komma acht Prozent steigern kann?«, fragte ich.
    Chris nickte. »Davon habe ich gehört. Sonst wärst du heute nicht hier.«
    »Und du? Warum bist du mit dabei?«
    »Mein Beitrag für Sunny Side war nicht so … na, sagen wir mal, nicht so kreativ. Ich hab bloß einen neuen großen Firmenkunden gewonnen. Eine Fitnessstudiokette. Die City-Verbindung von Augsburg nach Wilhelmshaven boomt, vor allem aber hat das Indien-Geschäft stark angezogen.«
    »Indien? Wieso das denn?«
    »Hab ich mich auch gefragt. Die bieten natürlich auch Yogakurse an, so wie jedes Studio, das was auf sich hält. Und weil sie so exklusiv sind und so teuer, schicken sie ihre Trainer nicht zu irgendeiner Fortbildung im Westerwald, sondern nach Indien, zum ehemaligen Yogalehrer von Richard Gere.«
    »Sag mal«, fragte ich, »könntest du eigentlich eine Frau lieben, die einen Altar im Schlafzimmer stehen hat?«

    Er nickte bedächtig. »Vielleicht. Solange mein Foto darauf
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