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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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dazu. Ich dachte, die ist anders. Die steht zu ihren Gefühlen, die hat diese ganzen Spielchen, diese ganze Taktik nicht nötig. Die ist einfach … echt.«
    Ach, das Leben, dachte ich sarkastisch. So gerecht und so weise. Nach vielen Umwegen fand eben schließlich jeder sein Glück. Papa traf Ilona, um eine neue Chance als Vater zu bekommen, Melli verbrachte ihre Samstage wieder mit Steve im Baumarkt, Patriotenpunk und Darky zogen gemeinsam eine Babyratte groß, und Chris Müller-Nolten hatte sich in eine tolle Frau verliebt.
    Ein nettes kleines Gesellschaftsspiel mit einem winzigen Haken.
    Zum Schluss blieb immer einer übrig.
    »Na dann«, ich würgte, »herzlichen Glückwunsch.«
    »Die Geschichte geht noch weiter«, sagte er. »Ganz kurz nachdem
ich sie kennengelernt habe, hat mir ein Kollege erzählt, dass die Frau zu so einer Yogaclique gehört. Und da wurde ich zum ersten Mal misstrauisch.«
    »So, so. Yoga.«
    Ich sprach das Wort aus, als hätte ich es noch nie gehört. Es fühlte sich seltsam fremd an in meinem Mund, so wie eine Frucht von einem exotischen Büfett, von der man nicht genau weiß, was einen erwartet, wann man hineinbeißt.
    »Evke«, seine Stimme hatte plötzlich einen fast flehenden Unterton, »verstehst du mich denn wirklich nicht, oder willst du mich einfach nicht verstehen?«
    »Doch, doch«, sagte ich und pulte mit meinem Zeigefinger in einem winzigen Loch in Chris’ winzigem Gesichtshandtuch. »Du glaubst, wir sind jetzt so etwas wie gute Freunde. Dein alter Kumpel Evke, mit dem du mal ganz locker deine Beziehungsprobleme besprechen kannst. Ehrlich, Chris, es ehrt mich, dass du mir das anvertraust. Aber …«
    »Mann, Evke!«, er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Das letzte Mal, als ich mich mit dir unterhalten habe, hast du nicht so auf der Leitung gestanden. Evke, merkst du denn nicht, von wem ich rede?« Er machte eine dramatische Kunstpause.
    »Ich rede von dir!«
    Das Loch im Handtuch war jetzt so groß, dass mein kleiner Finger fast hindurchpasste. Die Schwalben kreisten, die Abendwölkchen glänzten, auspufflose Mofas röhrten.
    »Evke, im Ernst, ich …«, Chris stützte seinen Kopf in die Hände, »ich habe mich so gefreut, als ich deinen Namen auf der Liste gesehen habe. Und bin gleichzeitig so erschrocken. Bist du mir eigentlich noch böse?«
    Aus irgendeinem Schlupfwinkel meines Hirns waren meine alten Kumpel, die Kobolde, wieder aufgetaucht. Die hatte ich schon lange nicht mehr getroffen. Scheinbar konnte man sie nicht nur mit einer Überdosis Alkohol hervorlocken, sondern auch mit einem Überangebot an Information. Jetzt sprangen sie Trampolin auf meinem Mandelkern, schlugen Saltos und riefen dabei aufgeregt durcheinander.
Chris hatte sich verliebt? Chris hatte sich in mich verliebt? Aber warum dann die Vergangenheitsform? Und warum böse?
    »Nicht böse«, antwortete ich nach einer Weile. »Nur enttäuscht.«
    »Weißt du«, sagte er und blickte mich von der Seite an, »ich hab das manchmal, wenn etwas einfach zu schön ist. Zu perfekt. Dass ich plötzlich anfange zu zweifeln. Und dann reicht der kleinste Grund, und ich sage mir: Vergiss es, so etwas Perfektes kann es ja gar nicht geben.«
    »Und was hat das jetzt mit Yoga zu tun?«
    »Also, zufällig habe ich mich am Montag nach der Firmenparty mit einem Kollegen unterhalten, der deine Freundin Anna kennt. Da habe ich … na, ich habe ihn ein bisschen nach dir gefragt. Was er über dich weiß. Er meinte, dass Anna mit ihren Freundinnen dauernd auf solche Wochenenden fährt. Solcher Esoterikkrempel. Entschuldigung. «
    »Aber da war ich noch nicht einmal dabei! Eigentlich habe ich mit Yoga doch überhaupt nur angefangen …«
    Wegen dir, wollte ich sagen. Weil ich mir schon wieder so ein Eigentor geschossen hatte, weil ich endlich gelassener werden wollte, geheimnisvoller, und drei Kilo abnehmen. Damit dann beim nächsten Mann endlich alles anders werden würde.
    »Sag mal, was hast du eigentlich für ein Problem mit Yoga?«, fragte ich stattdessen. »Das klingt ja fast, als hättest du herausgefunden, dass ich in meiner Freizeit Kleintiere ausstopfe.«
    Chris schwieg lange und fixierte einen Punkt an der Mauer. Beinahe sah es aus, als meditierte er mit offenen Augen.
    »Ich kann es nicht so gut erklären«, sagte er schließlich, »vielleicht verstehe ich ja auch zu wenig davon. Aber ich habe immer den Eindruck, Leute, die Yoga machen, nehmen ihrem Leben den Wahnsinn. Die Überraschung. Die
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