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Mantramänner

Mantramänner

Titel: Mantramänner
Autoren: J Hagedorn
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den Ton eines ausgewachsenen, hungrigen Raubtiers getroffen. War also gar nicht so schwer. Man musste nur an etwas Peinliches denken. An etwas …
    »Evke? Kann ich irgendetwas für dich tun?«
    Ich fuhr senkrecht hoch und drehte mich um. Was war das? Hörte ich etwa schon Stimmen? Und war es immer so, dass die Stimmen, die man hörte, einem aus dem wirklichen Leben bekannt vorkamen?
    Die gute Nachricht war: Ich hörte keine Stimmen. Ich war also noch nicht völlig durchgedreht.
    Die schlechte Nachricht war: Die Stimme gehörte zu keinem anderen als Chris. Von einem Schornstein verdeckt, musste er die ganze Zeit in der Ecke gesessen und mir zugesehen haben.
    »Ach, du Scheiße«, entfuhr es mir.
    »Ja«, sagte er und grinste, »ich freu mich auch, dich zu sehen.«
    Unschlüssig stand ich auf. Der Boden unter mir kam mir jetzt sogar ganz erstaunlich uneben vor. Aber vielleicht lag das auch nur an meinen zitternden Knien.
    »Ja, dann«, sagte ich, »ich wollte dich nicht stören.«
    »Und ich wollte dich nicht stören«, sagte Chris und klopfte einladend auf sein blütenweißes Hotelhandtuch.
    Habe ich schon erwähnt, dass er dabei nichts trug als blauweiß gestreifte Boxershorts? Im Abendlicht sah es aus, als bestände der gesamte Mann aus bronzefarbener Seide. Es war höhere Gemeinheit.
Wer konnte da schon Nein sagen? Seufzend ließ ich mich an der Wand heruntersinken und streckte die Beine aus.
    »Jetzt muss ich aber doch etwas loswerden. Weißt du, was ich mich seit ein paar Tagen frage?«, begann er und legte dabei den Kopf in den Nacken, sodass seine kräftigen Kiefergelenke hervortraten. Die reinste Peepshow. Wusste er überhaupt, was er da tat?
    »Na?«, fragte ich reserviert zurück.
    »Ich frage mich, wie unsere Geschichte weitergegangen wäre, wenn du ans Telefon gegangen wärst.«
    Er ließ einfach nicht locker. Dabei hatte ich ihm doch schon gesagt, dass er die Vergangenheit endlich hinter sich lassen sollte.
    Moment mal. Was hatte er da gerade gesagt?
    »Ans Telefon gegangen? Ich?«
    Ich verstand mal wieder nur ong namo naryanaya.
    Wollte er mir jetzt etwa die Schuld in die Schuhe schieben? Nicht, weil ich ihn vorschnell angerufen hatte, sondern im Gegenteil, weil ich nicht abgehoben hatte?
    »Es ist …«, er räusperte sich mehrmals, »weißt du, vielleicht glaubst du mir das nicht. Klingt ja auch nach einer blöden Ausrede, ich weiß. Aber ich habe dich damals wirklich zurückgerufen.«
    »Und?«
    »Tja. Ich war nicht sehr beharrlich. Ich habe es genau zwei Mal versucht. Und dann nicht mehr.«
    Mein Leben ratterte im schnellen Rücklauf vor meinem geistigen Auge vorbei. Ich sah Steve in Barbies Bierbar, traf Siv im Gang des Ashrams mit der Weinflasche in der Hand, stand schließlich neben Chris an der Garderobe auf der Sunny Side … Stopp. Das war ein Stück zu weit. Langsam wieder vorspulen. Die Party. Die Nacht. Mein Anruf am Sonntag. Dann der Montag. Ich war nach Hause gekommen, hatte den Flyer vom Yogazentrum gefunden, dann hatte meine Mutter angerufen. Und dann?
    Das Telefon hatte tatsächlich noch zweimal geklingelt. In rascher Folge.
    Und ich hatte es klingeln lassen, fest überzeugt, dass es schon wieder meine Mutter war. Und weil ich gar nicht zu hoffen gewagt hatte …

    »Das warst du?«
    Er nickte, betont langsam, als wollte er jedem einzelnen Nicken eine besondere, tiefere Bedeutung verleihen.
    »Du musst jetzt denken, es war mir nicht wichtig«, sagte er schließlich leise. »Und das verstehe ich ja auch. Vor allem nach deinem Anruf, mitten in der Nacht. Das war immerhin … nun, es war mutig von dir. Und … süß. Es war … es ist schwierig zu beschreiben.«
    »Ich hab’s dir schon gesagt«, wiederholte ich. »Du musst dich nicht rechtfertigen. Was vorbei ist, ist vorbei.«
    »Aber ich möchte es dir ja erklären.«
    Er schlang seine Hand um sein Knie, und ich erwischte mich dabei, wie ich schon zum zweiten Mal an diesem Tag eifersüchtig wurde. Auf die Hand. Und auf das Knie.
    Die hatten es gut in ihrer Zweisamkeit.
    »Weißt du, Evke«, er sah träumerisch in die Ferne, »ich möchte, dass du etwas weißt. Es ist noch gar nicht so lange her, da habe ich mich verliebt.«
    Er hätte mir auch gleich eine Ladung Zement in den Mund schütten können, als ich gerade den Löwen machte. Hätte auch nicht unangenehmer sein können.
    »So«, echote ich tonlos, »verliebt.«
    »Ja.« Wieder dieses betonte Nicken. »Ich habe mich in eine Frau verliebt oder war wenigstens auf dem besten Wege
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