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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal
Autoren: Heiner Lauterbach
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schwieriger ist.
    Ich habe also gewartet, bis die Hände meiner Tochter groß genug waren, um die Tasten einigermaßen greifen zu können und sie dann gefragt, ob sie Lust hätte, das Klavierspiel mit mir zusammen zu lernen. Sie war begeistert. Ich habe ihr gesagt, dass Musik etwas Wunderbares ist. Man öffnet für sich eine völlig neue Tür im Leben. Ich fühlte mich als Vater verpflichtet, sie damit in Berührung zu bringen. Weil sie mir das später sonst sicherlich vorwerfen wird.
    Das Klavier ist die Mutter aller Instrumente. Das Beste, wenn man später komponieren will. Man muss allerdings sehr viel Zeit und Geduld investieren, um dieses Instrument zu erlernen. Denn wie bei den meisten Dingen im Leben ist es auch beim Klavierspiel so, dass man umso mehr Spaß hat, je besser man es beherrscht.
    »In jedem Fall wirst du etwas lernen«, versprach ich ihr und trieb meinen Vortrag langsam seinem pädagogischen Höhepunkt entgegen.
    »Wenn du durchhältst, wirst du das Klavier spielen lernen. Wenn du auf halber Strecke schlappmachst, wirst du anhand meiner Person lernen, wie man im Leben seine Ziele erreicht. Denn ich werde nicht schlappmachen. Ich werde so lange üben, bis ich dir eines Tages eine wunderschöne Sinfonie von Beethoven vorspielen kann. Und vielleicht wirst du dann dastehen und sagen: ›Verfluchter Mist, das würde ich auch gern können. Warum habe ich nicht auf meinen weisen Vater gehört und weitergemacht?‹«
    Ich muss sagen, dass ich ziemlich stolz war auf diese erzieherische Raffinesse. Nicht nur, dass ich meine Tochter motiviert hatte, ich stand jetzt auch selbst unter Druck.
    Dann haben wir also angefangen. Und zwar nicht bei irgendeinem Klavierlehrer, einem gescheiterten Konzertpianisten vielleicht, der beim Üben mit seinen untalentierten Schülern schmerzvoll die Stirn in Falten legt und meiner Tochter mit dem Taktstock auf die Finger haut. Nein, es musste der Beste sein, den wir kriegen konnten. Auch etwas, das ich im Leben gelernt hatte: Wenn man eine Sache anfängt, sollte man sich die bestmöglichen Bedingungen schaffen. Sich den besten Lehrer nehmen, den man finden und bezahlen kann. Man kann an allem sparen in dieser Zeit, nur nicht am Unterricht.
    Meine Mutter hatte mir schon vor Jahren erzählt, sie hätte über drei Ecken von einem gewissen Walter Nicol gehört. Der wohne am Starnberger See und gebe Klavierunterricht, und zwar auf eine sehr beeindruckende Art und Weise. Sie konnte gar nicht mehr genau sagen, was so außergewöhnlich daran war. Ich erkundigte mich und machte diesen Mann schnell ausfindig. Es stellte sich heraus, dass er nicht weit von uns wohnt.
    Seitdem nehmen wir Unterricht bei Walti, wie ihn jeder nennt. Er ist in unserer Gegend eine echte Größe. Auch Maria Furtwängler oder die Kabarettistin Monika Gruber gehören zu seinen Schülern.
    Walti hat ein System entwickelt, das Yi-System, durch das wir lernen, die Konstruktion der Musik zu begreifen. Denn seiner Meinung nach lernt man so das Musizieren nicht nur schneller. Es klingt auch viel besser, wenn man wirklich versteht, was man spielt.
    So drücke ich seit 2011 wieder die Schulbank. Ich lerne alle Musikbausteine: Noten, Akkorde, Rhythmen und Intervalle. Ich büffele Vorzeichen und das Transponieren.
    Ich hätte nie gedacht, dass das Spaß machen würde. Es ist ein wenig wie Mathematik. Man muss sich ziemlich konzentrieren. Und weil ich schnell vorankommen möchte, übe ich jeden Tag. Wie meine Tochter Maya.
    Walti hat ein spezielles Unterrichtssystem entwickelt, für das man einen iPad braucht. Dieser Tablet-Computer ist seitdem so etwas wie mein Schulheft. Darauf läuft ein Programm, das mir jeden Tag Aufgaben stellt, die natürlich Schritt für Schritt komplizierter werden. Vom einfachen Notenlernen bis hin zum Transponieren mit sämtlichen Vorzeichen.
    Wie in der Fahrschule geht es also los mit dem Theorieunterricht, bevor man sich ans Steuer setzen kann. Das heißt, ich habe erst mal ein halbes Jahr Tonarten gelernt. Währenddessen bildete sich auf dem Pianoforte im Flur eine dicke Staubschicht. Stattdessen fragte ich mich täglich so Dinge wie: »Gis-Moll, wie heißt die Note da auf der mittleren Linie im Bass?« (Dis.) Und so weiter. Ich musste rechnen und mich konzentrieren, bis der Kopf geraucht hat.
    Es war anfangs schon komisch. Da nimmt man Klavierunterricht und darf nicht eine Note spielen. Als hätte man Schwimmunterricht ohne nass zu werden.
    Aber irgendwann wird man belohnt.
    Eines schönen
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