Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Boese mir vergib

Alles Boese mir vergib

Titel: Alles Boese mir vergib
Autoren: David Meinke
Vom Netzwerk:
Gut für den Garten
    Ich hörte die Stimme von Rektor Erik Nielsen ganz deutlich. Hörte genau, wie er mich darauf hinwies, dass das hier ein ERNSTES GESPRÄCH sei. Sein Ton war eindringlich und seine Ermahnungen waren durchaus angebracht.
    „In den letzten sechs Monaten hast du permanent die maximalen Fehlzeiten ausgereizt. Und du hast gerade eben so viele Hausaufgaben abgeliefert, wie es braucht, um nicht gegen die Regeln zu verstoßen. Aber auf dieser Grundlage kann ich nicht erkennen, wieso dieses Gymnasium weiterhin deine Ausbildung fördern sollte.“
    Rektor Erik Nielsens Worte hatten in etwa dieselbe Wirkung wie eine Aspirintablette nach einer Schädelsprengung.
    Ich war erst früh am Morgen bei Pilze-Bob aufgebrochen und hatte überhaupt nicht geschlafen. Robert, wie Pilze-Bob mit bürgerlichem Namen hieß, hatte mich und die anderen Ehemaligen vom Internat spontan zu einer Wiedersehensparty eingeladen. Gegen Mitternacht servierte er feinste Thai-Omelettes, die nach einer halben Stunde eine ordentliche psychedelische Wirkung entfalteten. Das war total chillig. Wir führten kleine Szenen aus Filmen auf, die die anderen erraten mussten. Und um sechs stand ich am Bahnhof von Kokkedal, OHNE Schlaf und MIT Ameisen in den Adern, während ich in Gedanken eine Szene aus Trainspotting durchging.
    „Bist du sicher, dass du weitermachen willst?“
    Wieder hörte ich Rektor Erik Nielsens Stimme. Und ich habe diese … Gabe, anwesend, ernst und erwachsen zu wirken, wenn es darauf ankommt. Ein Rückenmarksreflex. Und ein Talent.
    „Ja, das bedeutet mir viel. Sehr viel.“
    Ich wusste nicht, ob das die richtigen Worte waren, aber es sah zumindest so aus, als hätten sie die richtige Wirkung.
    Ich war mit der ersten Bahn am Morgen von Kokkedal nach Hellerup gefahren. Zu dieser frühen Stunde waren offenbar hauptsächlich Erzieherinnen und Geschäftsleute unterwegs. Ich stellte mir vor, wie all diese Erzieherinnen und Geschäftsmänner plötzlich übereinander herfielen, die Männer auf der verzweifelten Suche nach Nähe, die Frauen scharf auf einen Anzugträger. Ich grinste vor mich hin, als ich in Hellerup ausstieg. Es herrschte dieses seltsame Licht, das entstehen kann, wenn die Wolken dunkel sind, aber dennoch nicht ganz die Sonne verdecken. Die Schatten hatten scharfe Kanten und auf dem Bahnsteig roch es nach Regen. Ich klopfte eine Kippe aus meiner zerknüllten Packung und zündete sie an. Eine Frau in einem gelben Regenmantel saß auf einer Bank. Ich hockte mich neben sie und inhalierte tief.
    „Manche Kollegen attestieren dir eine problematische Einstellung.“ Ah. Rektor. Zurück in der Wirklichkeit. Ich begnügte mich mit einem Nicken.
    Die Frau hatte mich angelächelt, aber trotzdem nicht richtig glücklich ausgesehen.
    „Darf ich dir eine Zigarette abkaufen?“, hatte sie gefragt. Ich hatte ihr meine letzte gegeben und die Packung zusammengeknüllt. Ein Paar mit Kinderwagen und zwei großen Koffern stand zwanzig Meter von uns entfernt. Das Weinen des Babys klang gleichmäßig und leise herüber.
    „Ich glaube, es wird regnen“, meinte ich.
    „Ja, sieht so aus“, antwortete sie.
    „An deiner Haltung muss sich unbedingt etwas ändern.“ Wieder Rektor Nielsen.
    „Das ist mir klar.“
    Ich hatte vor, von Hellerup mit der nächsten Bahn nach Nordhavn zu fahren und von dort direkt in die Schule zu gehen. Die Frau hatte heftig an der Zigarette gezogen.
    „Ich hoffe, es regnet bald“, hatte sie gesagt. „Wäre gut für den Garten.“
    Sie stand auf. In der Ferne hörte ich einen IC3-Zug, der näher zu kommen schien.
    Dann stellte sie sich an die Kante des Bahnsteigs.
    Ich blickte dem Rektor in die Augen. Alles – aber auch wirklich alles, was er sagte, war mir egal. Ich sah die Frau nach vorne kippen, den Zug vorbeifahren und bremsen. Sie war einfach weg.
    Was auch immer ich in den vergangenen zwei Jahren – vielleicht sogar mein ganzes Leben lang – berührt hatte, war zu Scheiße geworden. Ich war ein beschissener König Midas. Die Menschen um mich herum stolperten und fielen, sobald sie mit mir in Berührung kamen. Rie – die dachte, ich sei der Prinz auf dem weißen Pferd. Meine Mutter, deren Freund – Käse-Henrik – ich weggeekelt hatte. Und mein Freund Jonathan, der … weg war.
    Wir sind Funken. Wir erlöschen. Und verschwinden. Nichts hatte mehr einen Sinn. Trotzdem spielte mein Rückenmark bei diesem idiotischen Schauspiel mit, das der Rektor und fucked-up Nick Bent Hedegaard hier gerade
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher