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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal
Autoren: Heiner Lauterbach
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folgende Situation: Ich fahre mit Viktoria nach Hause und sie sitzt hinter dem Steuer – es kann eigentlich nur zwei Gründe dafür geben: Entweder man hat mir den Führerschein entzogen, oder ich hab mir den Arm gebrochen. Jedenfalls haben wir so ein automatisches Tor, das man mit einer Fernbedienung öffnen kann. Auch schon deutlich vorher, wenn man will. Und daran denkt. Ich zum Beispiel drücke diesen Knopf Hunderte Meter vorher, sodass es nicht nur offen ist, wenn ich ankomme, sondern ich es beim Durchfahren gleich wieder schließen kann. Diese fast schon James Bond-artige Mischung aus Raffinesse, Weitsicht und Timing ist natürlich nicht jedem gegeben. Eine Spur davon würde mir ja schon genügen. Aber Viktoria fährt mit der Schnauze des Wagens direkt vor das Gitter. Dann legt sie den Gang raus. Dann schaut sie mich triumphierend an, nach dem Motto: War doch gar nicht so schlecht, die Fahrt mit mir, oder? Dann fällt ihr auf, dass wir hier irgendwie komisch stehen. Sie sieht das geschlossene Tor.
    Erst dann fängt sie an, nach dem Drücker zu suchen.
    Viktoria ist eine Fahrerin, die – vorsichtig ausgedrückt – ein wenig zur Unkonzentriertheit neigt. Sie hat es auch schon geschafft mit dem Handy in eine Polizeikontrolle zu fahren. Sie hatte das Telefon noch am Ohr, als die Polizisten sie bereits baten, doch einmal die Papiere herauszusuchen.
    Die Polizistin: »Und zeigen Sie uns doch bitte auch Warndreieck und Verbandskasten.«
    Meine Frau ins Handy: »Warte doch mal kurz Gabi, ich bin gerade in eine Polizeikontrolle gekommen.«
    Jetzt wage ich es. Ich tu’s einfach. Ich oute mich. Und sage: In meinen Augen sind Männer im Allgemeinen die besseren Autofahrer. Ist doch auch nichts Schlimmes, liebe Frauen. Es gibt so viele Dinge, die ihr besser könnt als wir. Ich hatte mal eine Freundin, die ständig an mir rumgenörgelt hat. Nichts konnte ich ihr recht machen. Eines Tages fragte ich sie: »Sag mal, Jutta, gibt es eigentlich irgendwas, das ich in deinen Augen kann?« Sie überlegte. Ein bisschen zu lange. Dann sagte sie: »Ja, Auto fahren.«
    Das war schlimm, liebe Frauen. So was tut weh.
    IHR SEID ALLE INDIVIDUEN
    Während ich dieses Buch schreibe, frage ich mich ein paar Dinge. Zum Beispiel, was diese Aggressivität in mir hervorruft, wenn Leute Sachen sagen wie »zeitnah«, »stückweit« oder »sehr, sehr« und »ganz, ganz«. Es ist vermutlich dieses In-der-Masse-stehen und Blöken. Wie die Schafe in der Herde. »Määähääähäää!« Für mich stehen alle in einer Herde und blöken: »Stückweiiitt … Zeeiiittnaahh!« Ohne nachzudenken. Ohne es eigentlich zu wollen oder gar gut zu finden. Nur weil es alle machen. Ich möchte das einzige Schaf in der Herde sein das »Miieehieeee« brüllt, statt »Määähääähäää!«
    Deswegen mag ich auch keine Dreitagebärte mehr. Obwohl ich sie geliebt habe. Ich war der Vorreiter des Dreitagebartes. Schon in den frühen 1970er Jahren bin ich nur mit Dreitagebart rumgelaufen. Mein Vater hat das gehasst. Es galt damals als ungepflegt. Er hat mich ständig gefragt, ob ich mir einen Bart wachsen lassen wolle. Das war unser running gag.
    Ich habe ihn damals aus Bequemlichkeit getragen. Ich habe mich einfach nur alle drei, vier Tage rasiert. Heute trägt jeder einen Dreitagebart. Jeder. Vom Model für Rasierer über Fußballspieler über Taxifahrer bis hin zum Kanzlerkandidaten. Selbst der Fernsehpfarrer, der am Samstagabend in der ARD über Gott und die Welt spricht, hat einen. Sogar Thomas Anders von den früheren Modern Talking trägt einen Dreitagebart.
    Inzwischen rasiere ich mich täglich. Ich möchte nicht eines von den Schafen sein, die mit Dreitagebart in der Herde stehen und »zeitnah« blöken. Nur wenn ich mal absolut nicht zum Rasieren gekommen bin, kann es passieren, dass ich einen Dreitagebart trage. Oder wenn meine Frau es anordnet. Sie findet das nämlich gut. Sie sagt auch, das steht mir besser. Mir ist das egal. Ich mag es nicht mehr.
    Ich frage mich schon, was ausgerechnet so ein geselliger Typ wie ich, so schlimm daran findet, in der Herde zu stehen und wie alle zu blöken. Wo ich doch so gut ins Abendmahl passen würde. Die Antwort ist: Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich das einzige Schaf sein möchte, das rasiert in der Herde steht und »Miieehiieehhiiee« blökt statt »Määähääähää«. Wenn sich alle anderen Schafe zusammentäten und auf Kommando auch »Miiieehiieehiiee« blökten, würde ich
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